Autorius: Christian Schwager Šaltinis: https://www.anonymousnews.org/... 2023-03-13 06:17:00, skaitė 831, komentavo 0
Blick in eine Apotheke: Viele Medikamente sind derzeit knapp, vor allem Arzneimittel für Kinder.
Der Eintrag ist gelöscht. Zum Glück, denn er war lebensgefährlich, wenn auch nur als Frage in einem Internetforum formuliert. „Stimmt es“, wollte eine Mutter wissen, „dass man Fiebersaft aus Paracetamol und Limonade selbst zusammenmischen kann?“ Es folgten Mengenangaben in Milligramm und Millilitern und als Antwort ein Sturm der Entrüstung. Eine Frau schrieb: „Finger weg!“ Und weg war auch der Eintrag.
Medikamente sind knapp in Deutschland, bei Kindern wird der Engpass besonders deutlich. Dass bestimmte Präparate von bestimmten Herstellern zwischenzeitlich nicht zur Verfügung stehen, ist seit Jahren Normalität. Vielleicht reagiert das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medikamente (BfArM) deshalb routiniert auf die Situation. In Deutschland sind an die 100.000 Arzneimittel zugelassenS, während der Behörde nach eigenen Angaben rund 300 Meldungen zu Lieferengpässen vorliegen. Sie verweist auf Alternativen. „Ein Lieferengpass“, schreibt das BfArM, „muss nicht gleichzeitig ein Versorgungsengpass sein.“
Viele Eltern sehen das anders, wie ein Bericht von der Basis zeigt. „Sie sind sehr besorgt und reagieren irritiert, wenn es ein gewohntes Präparat gerade nicht gibt“, sagt Steffen Reinholz. Er ist Apotheker und in einer der größten der rund 750 Apotheken Berlins beschäftigt; sie liegt in Wedding, hat drei Filialen. „Wir arbeiten im Moment konstant in einem Notzustand“, sagt Reinholz. Er warnt davor, Praxen und Apotheken zu stürmen und zu hamstern und damit das Problem noch zu vergrößern. „Die Lage ist so ernst wie nie zuvor, aber wir haben noch immer Lösungen.“ Auch wenn das nicht immer einfach ist.
Auf den Portalen der Großhändler herrscht Gedränge, wenn die mehr 18.000 Apotheken des Landes darauf zugreifen. Immer häufiger gehen sie leer aus. „Bei Fieber- und Schmerzmitteln für Kinder ist die Situation besonders schwierig, egal in welcher Darreichungsform, ob nun Saft oder Zäpfchen“, berichtet Reinholz. „Inzwischen beginnen Antibiotika-Säfte knapp zu werden.“ Früher konnte er Ware reservieren für den Zeitpunkt, an dem sie wieder lieferbar ist. Inzwischen gilt oft das Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
„Ich schaue, ob ich größere Mengen bei bestimmten Medikamenten bestellen kann, um vorzusorgen“, sagt der Apotheker. Doch planen kann er nicht mehr. Liefertermine werden immer wieder verschoben, selbst wenn sie Monate voraus liegen. Ein Pharmakonzern hat in diesem Jahr für alle Apotheken die sogenannte Winterbevorratung für fast jedes Erkältungsmittel ersatzlos gestrichen. „Der gefühlte Super-GAU.“
Reinholz befindet sich noch im Vorteil gegenüber manch anderen Kollegen, weil er als Mitarbeiter einer umsatzstarken Apotheke bei Herstellern selbst ordern kann, denn diese sehen Mindestmengen für Direktbestellungen vor. „Das ist für die vielen kleinen Kiezapotheken nicht umsetzbar. Sie erreichen diese Mengen nicht, allein schon aus dem Grund, dass sie nicht über die nötigen Kapitalreserven verfügen.“
Neulich ist es Reinholz gelungen, Infectomox-Saft zu ergattern, ein Breitband-Antibiotikum. Nun wird Improvisation gefragt sein. „Den Saft gibt es in verschiedenen Wirkstärken, für Säuglinge, für ältere Kinder.“ Er bekam ihn lediglich in einer dieser Stärken. Eltern muss Reinholz daher erklären, dass er das verschriebene Produkt zwar vorrätig hat, dass es allerdings anders dosiert werden muss, als vom Arzt auf dem Rezept notiert. „Ich passe die Dosis entsprechend an. Den Eltern von Kleinkindern gebe ich eine Spritze mit, damit sie richtig dosieren können.“
Nicht nur bei Medikamenten für Kinder ist die Lage prekär. „Von der Knappheit betroffen sind im Grunde alle Wirkstoffgruppen“, sagt Reinholz. Eng wird es vor allem bei Antibiotika (Cotrimoxazol, Sultamicillin, Penicillin, Amoxicillin und Clavulansäure). Knapp sind zudem Blutdrucksenker (Bisoprolol, Candesartan), Cholesterolsenker (Rosuvastatin), Magen-Darm-Medikamente (Butylscopolamin und Elektrolyt-Mischungen), aber auch einfache Erkältungsmittel (Codein, Acetylcystein, Ambroxol, Nasensprays). „Bei Herzmedikamenten gibt es ebenfalls Probleme.“ Ein Pharmakonzern hat sein Produkt aus dieser Sparte sogar ganz vom Markt genommen.
Auch Fiebersäfte haben viele Produzenten nicht mehr in ihrem Programm, aus wirtschaftlichen Gründen. „Derzeit gibt es nur noch zwei Anbieter von Paracetamol-Säften“, sagt Reinholz. „Beide liegen mit ihrem Preis über dem Festbetrag, den die gesetzlichen Krankenkassen maximal übernehmen. Dadurch fallen nun Mehrkosten selbst für die kleinsten Patientinnen an, und Eltern sind immer öfter verärgert.“
Wie so oft im Gesundheitswesen lassen Krisen grundsätzliche Probleme sichtbar werden. Beim chronischen Personalmangel in Krankenhäusern zum Beispiel sorgte dafür Corona. Bei Medikamenten verstärken sich zwei Effekte gegenseitig. Nach mehr als zwei Jahren der Pandemie und dem Wegfall der meisten Schutzmaßnahmen haben vor allem unter Heranwachsenden Infekte Konjunktur. Gleichzeitig bestehen seit Monaten Lieferschwierigkeiten. Sie haben unterschiedliche Ursachen, meist hängen sie mit Kostendruck zusammen.
Knapp 70 Prozent der Produktionsstätten von Arzneigrundstoffen befinden sich in Asien. China und Indien tragen den größten Anteil. Die hiesige Pharmaindustrie ist davon abhängig, dass die Lieferketten reibungslos funktionieren. Geraten sie ins Stocken, wird es eng. Wie im März, als sich das Containerschiff „Ever Given“ im Suezkanal querstellte und einen langen Stau verursachte. Die strikte Null-Covid-Politik der Chinesen brachte außerdem immer wieder die Fabrikation von Grundstoffen ins Stocken und legte Häfen lahm.
„Zu guter Letzt soll nun auch noch der Zwangsrabatt angehoben werden, den wir Apotheken auf verschreibungspflichtige Medikamente gewähren müssen. Und das bei steigenden Kosten für Energie, Einkauf, Personal und neue Technik“, sagt der Apotheker Reinholz. Europa müsse sich aus der Abhängigkeit von Asien befreien, fordert er, bezweifelt allerdings, dass es dazu kommen wird. „In Europa sind die Löhne deutlich höher und die Kontrollen strenger. Außerdem sind sicherlich die Umweltauflagen strenger, was uns allen zwar zugutekomme, aber mehr Geld kosten würde“, sagt Reinholz. „Jeder will gesund sein, gesund werden. Aber kosten darf die Gesundheit nichts in diesem Land.“
Und so endet Steffen Reinholz’ Bericht von der Basis, aus einer der größten Apotheken der Stadt, mit einer unerfreulichen Prognose: „Wir lebten lange in einer Welt, in der alles verfügbar war und ein verschriebenes Medikament innerhalb weniger Stunden in der Stammapotheke um die Ecke bereitlag. Davon müssen wir uns für eine lange Zeit verabschieden.“