Autorius: Josef Kraus Šaltinis: https://www.anonymousnews.org/... 2022-07-21 11:07:00, skaitė 667, komentavo 0
Der Fall Stephan Harbarth: Die CDU hat das oberste Gericht underwandert und dessen Ruf ruiniert
Die Berufung von Stephan Harbarth zum Vizepräsidenten und kurz danach zum Präsidenten am Bundesverfassungsgericht wirft eine Menge Fragen auf und wird als parteipolitische, dubiose CDU-Postenschieberei kritisiert – zu Lasten des Amtes, das in der Hierarchie nach Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzler und Bundesratspräsident rangiert.
Von Josef Kraus
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und sein untadeliger Ruf geraten durch fragwürdige Urteile und Besetzungspolitik in Schieflage – der Vorwurf steht im Raum, dass die offenkundige Vermischung der drei Gewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) mit dem seit Juni 2020 amtierenden Präsidenten des BVerfG, Stephan Harbarth, zusammenhängt. Ihm werden mangelnde Qualifikation und Eignung vorgeworfen; sein flotter Übertritt aus der Sphäre der Politik zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts ruft Zweifel hervor. Bislang wurden sie nicht ausgeräumt. Jüngere „Karlsruher“ Urteile, gerade des Ersten Senats, dem Harbarth vorsteht, sind besonders umstritten; der Verdacht liegt nahe, dass es mit dem Übergang Harbarths als Regierungshandlanger, der etwa den Migrationspakt durch den Bundestag peitschte, zum Gerichtspräsidenten zusammenhängt.
Denn bereits die Klimaschutz-Entscheidung des Harbarth-Senat vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18 u.a.) leitete nach Ansicht von Experten eine Art Grundrechtsrevolution ein, indem es die staatsgerichteten Freiheits- und Abwehrrechte der Bürger in der Sache zu einem knappen Gut erklärte, das der Staat zuzuteilen und zu verwalten habe. Auch die Entscheidungen dieses Ersten Senats zur „Bundesnotbremse“ und zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht, die bezeichnenderweise beide ohne mündliche Verhandlung ergingen, haben Grundrechtsexperten regelrecht schockiert.
Auch die Ernennung Harbarths im März 2018 zum Honorarprofessor der Universität Heidelberg ist nicht transparent. Harbarth war zu diesem Zeitpunkt Bundestagsabgeordneter der CDU für den an Heidelberg angrenzenden Wahlkreis 277 Rhein-Neckar. Und er war einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ehe er zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts berufen wurde – eine seltsame Karriere.
Ein Professorentitel ist zwar keine zwingende Voraussetzung für die Bestellung zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Laut Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) muss ein Richter dieses Gremiums mindestens 40 Jahre alt sein, und er muss die Befähigung zum Richteramt haben. Richter muss er zuvor nicht gewesen sein.
Und so ging alles glatt, sehr glatt, wie die Chronologie der Bestellung Harbarths zum Vizepräsidenten und später zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts zeigt: Stephan Harbarth ist promovierter Volljurist. MdB für die CDU war er von 2009 bis November 2018. Ab Juni 2016 war er stellvertretender Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er galt als Merkel-Intimus.
Im März 2018 wurde er vom Senat der Universität Heidelberg auf Vorschlag der juristischen Fakultät zum Honorarprofessor ernannt. Passend im November 2018 wurde Harbarth zum Vizepräsidenten des BVerfG ernannt; im Mai 2020 zum Präsidenten des BVerfG. Eine Blitzkarriere, gekrönt mit Professoren-Titel und Präsidenten-Amt.
Ein Professorentitel ist nicht Voraussetzung für Harbarths Wahl nach Karlsruhe, aber er schmückt. Immerhin waren die vier noch in Erinnerung gebliebenen Vorgänger Professoren: Roman Herzog, Jutta Limbach, Hans-Jürgen Papier und Andreas Voßkuhle; hochgeachtet und kompetent. Da sollte Harbarth irgendwie wohl mithalten können, der als Wirtschaftsanwalt erfolgreich sein soll, aber nicht als Verfassungsexperte gilt. Zudem sollte bislang eine Professur für Unabhängigkeit stehen, die von einem Anwalt gerade nicht erwartet wird, der für seine Mandanten und Geschäfte zu kämpfen hat.
Im März 2018 dann also die Ernennung zum „Honorarprofessor“ der Universität Heidelberg. Wer die beiden externen Gutachter, die dafür nötig sind, waren und was diese geschrieben haben, ist nicht bekannt. Die Bild-Zeitung vom 30. Juni 2022 und andere Zeitungen wollten genau das wissen. Die Universität Heidelberg berief sich auf Daten- und Persönlichkeitsschutz und verweigerte die entsprechenden Auskünfte. Ob eine Auskunftspflicht besteht, wird der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Herbst 2022 entscheiden. Schon das ist fragwürdig: Was spricht dagegen offenzulegen, wer warum den Titel zugesprochen erhält? Es klingt danach, als sollte etwas verborgen werden. Der Datenschutz als Ausrede?
Nun hat unsere Redaktion die Angelegenheit anders aufgezogen und das Landeshochschulgesetz (LHG) von Baden-Württemberg zu Rate gezogen. (Es wurde übrigens im März 2018 vom Landtag novelliert). Hat Harbarth die in der Fassung von 2014 festgehaltenen Voraussetzungen für eine Honorarprofessur erfüllt? Dort heißt es in Paragraph 55: „(1) Die Hochschule kann Honorarprofessorinnen und Honorarprofessoren bestellen. Diese müssen die Einstellungsvoraussetzungen nach § 47 erfüllen, eine mindestens dreijährige selbstständige Lehrtätigkeit an einer Hochschule vorweisen …“
Eine vermeintlich eindeutige Regelung. Aber wie hat Harbarth die geforderte „mindestens dreijährige selbstständige Lehrtätigkeit“ vor März 2018 erfüllt, also vor seiner Ernennung zum Honorarprofessor? Laut Landeshochschulgesetz war das ja Voraussetzung. Aus den Vorlesungsverzeichnissen ließ sich das nicht eindeutig erschließen. Die Vorlesungsverzeichnisse seit 2004 der juristischen Fakultät weisen nur im Wintersemester 2009/10 eine Lehrtätigkeit von Harbarth auf. Danach hielt Harbarth – mit Unterbrechungen – Übungen. Er tat dies nicht „selbstständig“, sondern zusammen mit anderen Lehrenden.
Später, Harbarth war schon Honorarprofessor, im Wintersemester 2018/19, firmierte Harbarth erstmals als Prof. Dr. Stephan Harbarth – zusammen mit seinem Doktorvater Prof. Dr. Hommelhof hielt er eine Lehrveranstaltung zum „Personengesellschaftsrecht“; sicherlich sehr maßgeblich für seine Anwaltskanzlei, weniger für die Qualifikation als Verfassungsrichter. Später folgen Lehrveranstaltungen zusammen mit Anwälten als „Dr. Harbarth“. Schon für das Sommersemester (SS) 2019 ist keine Veranstaltung von Harbarth ausgewiesen. Im SS 2020 veranstaltete Harbarth wieder zusammen mit Prof. Hommelhof sowie anderen Lehrenden ein „Berliner Blockseminar“. In den Folgesemestern sind keine Veranstaltungen von Harbarth ausgewiesen. In der Summe heißt das: Harbarth hat als Honorarprofessor seit 2018 drei Lehrveranstaltungen gegeben – jeweils nicht „selbstständig“.
Aber das spielt ab 2018 ja keine Rolle mehr. Es geht um die Frage, ob Harbarth 2018 die Voraussetzung einer „mindestens dreijährigen selbstständigen Lehrtätigkeit“ erfüllt hat. Die Antwort der Universität vom 4. Juli 2022 an die hiesige brachte da keine Klarheit. Denn man vertröstete uns damit, dass als „selbstständig“ auch Hochschulveranstaltungen gelten, die mit anderen Dozenten zusammen durchgeführt wurden. „Selbständigkeit“ wird dabei sehr originell interpretiert. Wörtlich heißt es im Schreiben der Rechtsabteilung der Uni Heidelberg:
„Diese Lehre ist durchgehend ’selbstständig‘, weil nicht weisungsabhängig. Dass sie z.T. gemeinsam mit anderen Dozentinnen und Dozenten erbracht wird, ist unschädlich. Entscheidend ist allein, dass kein Dritter unzulässigen Einfluss auf Lehrinhalte und Methoden des Lehrbeauftragten bzw. Honorarprofessors nimmt.“
Wenn aber jede Lehre „selbständig“ ist, die keinem „unzulässigen Einfluss“ unterliegt, dann ist jede universitäre Lehre „selbständig“, da „unzulässiger“ Einfluss natürlich immer verboten ist; was soll dann also das Adjektiv „selbstständig“ überhaupt bedeuten?
Ist es nicht eher „fachliche Unabhängigkeit“, die gefordert wird? Oder wird da ein Begriff zurecht gebogen? Die rabulistische Abwehrschlacht der Uni Heidelberg geht weiter. Im übrigen sei die geforderte „Selbstständigkeit“ üblicherweise ein “Soll“, aber kein „Muss.“ Hier müsse, so die Antwort der Universität, ein „flexibler Maßstab“ gelten – zumal bei Personen, „die sich – wie Herr PräsBVerfG Prof. Dr. Harbarth – bereits durch eine herausgehobene hauptberufliche Tätigkeit in den Dienst des Gemeinwesens und des Rechtsstaats nehmen lassen.“ Man kann es auch so lesen: Für Dr. Harbarth wurde das Hochschulgesetz flexibel gehalten. Es enthält zwar Regelungen, aber eben flexible. Für Falschparker gilt diese Flexibilität nicht – wohl aber für Professoren, höchste Richter und Politiker auf dem Weg nach ganz oben. Kritiker können einwenden, dass man sich eben gegenseitig hilft in und um Heidelberg.
Es sind keine Petitessen. Das Amt ist zu wichtig, als dass durch juristische Rabulistik getrickst und getäuscht werden dürfte. Es geht um Vertrauen. Dabei galten frühere Präsidenten als Säulen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ansehen und Vertrauen wuchsen – das eigentliche moralische Kapital des Gerichts. Das Gericht verfügt nicht über Machtmittel; seine Macht beruht auf dem Vertrauen der Bevölkerung, urteilte etwa der Staatsrechtler Josef Isensee: „Die Richter des Bundesverfassungsgerichts gelten als namhafte Persönlichkeiten, auch weil dies als gesellschaftliche und moralische Bedingung vorausgesetzt wird; sie zeichnen sich durch besondere Kenntnisse und Erfahrungen im öffentlichen Recht aus“, schreibt er in einem Aufsatz mit dem Titel „Bundesverfassungsgericht – Von der Unvermeidlichkeit des Vertrauens“. Harbarth, wir erinnern, ist Wirtschaftsanwalt; er ist Fachmann für Gesellschaftsrecht, also das Recht der juristischen Personen und sonstigen Personenvereinigungen des Privatechts – mit dem öffentlichen Recht oder gar dem Verfassungsrecht hatte er beruflich nie zu tun.
Und jetzt also präsidiert er das höchste Gericht. Die besondere Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts bringt § 31 Abs. 1 BVerfGG zum Ausdruck: „Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.“ Das Gericht ist Hüter des Grundgesetzes und der Rechte der Bürger gegenüber dem Staat. Das Bundesverfassungsgericht geht dabei über bloße Willkürkontrolle des Staates weit hinaus: Immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht wegweisende Entscheidungen getroffen, die die Politik zum Handeln gezwungen haben. Immer wieder erzwangen die Richter Überarbeitung oder neue Gesetze und Sichtweisen, trieben die Politik vor sich her. Dabei geht es um die großen Fragen – Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe, eingetragene Lebenspartnerschaft, Kunstfreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung, um den Schutz des Privatlebens vor dem Staat in Urteilen zur Rasterfahndung, Volkszählung, Datenfreiheit und dem Schutz der Privatsphäre. Das Gericht war für alle politischen Lager unbequem: Es entwickelte sich zum Vorreiter für neue Lebensmodelle, indem es die eingetragene Lebenspartnerschaft nicht nur erlaubte, sondern in der Folge mit der Ehe praktisch gleichstellte und damit Konservative verärgerte; mit Entscheidungen zur Demonstrationsfreiheit, zur Berufsfreiheit, zum Eigentum oder zu Unverletzlichkeit der Wohnung aber stellte es dem übergriffigen Staat Barrieren auf.
Und in seinen zwei Abtreibungsentscheidungen – deren Inhalt der heutige Gesetzgeber faktisch ignoriert, ohne dass aber ein Bundesland oder 25 Prozent der Abgeordneten des Deutschen Bundestages klagen würden – stellte es sich schützend vor das ungeborene Leben.
Das Gericht entscheidet auch über das Verbot von Parteien und formulierte hohe Anforderung an ein solches Verbot, um den politischen Wettbewerb zu garantieren. Jüngst ließ es jedoch die AfD abblitzen beim Verlangen, wie andere Parteien auch bei der Besetzung hoher Parlamentsämter wie dem des stellvertretenden Bundestagspräsidenten oder im Hinblick auf Ausschussvorsitze gleichrangig berücksichtigt zu werden. War dabei Parteipolitik im Spiel? Umstritten ist die Wahl der Richter durch Politiker nach Absprache zwischen den politischen Parteien, insbesondere die rotationsmäßige Benennung nach Parteienproporz. So wurde schon der Wechsel des von 1999 bis 2011 als saarländischer Ministerpräsident amtierenden Peter Müller an das Bundesverfassungsgericht vom Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim als „weiterer Schritt in den Parteienstaat“ kritisiert.
Nicht nur seither hat das Bundesverfassungsgericht an Ansehen verloren. Die Besetzung der Richterstellen erfolgte zunehmend nach Parteienproporz zu Gunsten grüner Politjuristen (etwa ab 2011 Susanne Baer, die vormalige Chefin des Genderkompetenzzentrums der Humboldtuniversität) und nicht mehr nach fachlicher Kompetenz. Immer geschmeidiger rückte es gerade in den jüngsten Jahren an die Regierungslinie, als ob es ansonsten um seine Entmachtung durch die Verlagerung der Entscheidungsfälle nach Brüssel bangen wurde. Es stützte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch ausufernde Gebührenerhöhungen, wich im Klimaurteil nicht mehr im Geringsten von den Vorgaben der Regierung ab, sondern forderte sogar politisch hilfreich Verschärfungen. Im Urteil über Grundrechtseinschränkungen im Zuge der Corona-Regelungen rückte es von der bisherigen Grundhaltung ab, das Grundgesetz als Schutz des Bürgers vor einem immer übergriffigeren Staat zu verstehen: Das Gericht fällte Urteile, die seine bisherige Bollwerkfunktion als Bewahrer bürgerlicher Freiheiten in Frage stellten und ließ wie schon im Klimaurteil nur noch Begründungen aus dem Regierungsapparat gelten, nicht aber von unabhängigen Experten.
Während so Zweifel an Harbarth wachsen, kann die Bundesregierung mit ihm zufrieden sein. Auch im jüngsten Urteil läuft alles, wie man es sich in einem Kanzleramt nur wünschen kann. Zwar wurde die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel gerügt. Sie habe mit Ihrer Bemerkung, dass die Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten Kemmerich (FDP) „rückgängig zu machen“ sei, gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Aber das Urteil kam Jahre zu spät. Das Bundeskanzleramt soll, so berichtete die Bild-Zeitung, einen Tipp erhalten haben und hat die Bemerkung von seiner Homepage entfernt; damit sei die Eilbedürftigkeit entfallen und das Urteil konnte verschleppt werden. Bis es der Rentnerin Angela Merkel auch egal sein kann. Man braucht eben nur den richtigen Honorarprofessor an der richtigen Stelle.