Autorius: SputnikNews Šaltinis: https://de.sputniknews.com/ges... 2020-02-08 16:23:08, skaitė 744, komentavo 0
Im Jahr 30 nach dem Mauerfall rückt das Berliner Stadtmuseum den Ostteil der Stadt Berlin in den Fokus und nimmt den Besucher mit auf eine Zeitreise. Und zwar mit der Ausstellung "OST-Berlin. Die halbe Hauptstadt". Die Schau im Ephraim-Palais widmet sich dem sozialen und kulturellen Leben in der einstigen Hauptstadt der DDR.
„Viele kommen in die Ausstellung und wollen reden - ihre Erinnerungen und Lebenserfahrungen austauschen. Und das hat gar nichts damit zu tun, dass man ostalgisch die DDR zurück haben will, sondern, dass diese Erfahrung ihren Platz in der Stadt haben sollen.“
Also keine Wehmutsschau: Im Gespräch mit Sputnik erläutert Jürgen Danyel das Erbe von Ost-Berlin. Der Historiker vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam hat die rund 1000 Ausstellungsexponate umfassende Ausstellung kuratiert.
Was war das Besondere an Ost-Berlin?
Viele, mit denen wir über Ost-Berlin gesprochen haben, haben betont, dass Berlin eine besondere Stadt war: sehr widersprüchlich. Zum einen haben sich in Berlin als Hauptstadt der DDR alle wichtigen Institutionen des Herrschaftsregimes konzentriert: die Partei, die Ministerien. Gleichzeitig war es eine lebendige Großstadt mit ganz unterschiedlichen sozialen und kulturellen Millieus - von der Arbeiterschicht bis zu Subkulturen. Und mit vielen jungen Leuten, die auch in die Nischen, die Ost-Berlin hatte, untertauchen konnten. Der Westen war viel stärker als in anderen Städten der DDR präsent. Auch das hat den besonderen Charakter der Stadt ausgemacht. Ost-Berlin war immer ein Stück internationaler, weltoffener als der Rest der DDR.
Waren die Ost-Berliner besonders privilegiert?
Die Ost-Berliner waren in mehrerer Hinsicht privilegiert, weil die Stadt besser versorgt wurde als andere Städte in der DDR. Viele DDR-Bürger sind regelmäßig zum Einkaufen nach Ost-Berlin gefahren, aber auch viele internationale Gäste waren gern dort. Es gab amerikanische Soldaten oder die Leute aus Westberlin, die oft nach Ost-Berlin fuhren - auch wegen dem reichen kulturellen Angebot. In nicht wenigen Familien gab es verwandtschaftliche Beziehungen nach dem Westen und Freunde und Bekannte in der anderen Hälfte der Stadt. Das hat Ostberlin auch geprägt.
Gab es viele Widersprüche zwischen der Außendarstellung und dem Alltag in der DDR?
Ost-Berlin sollte ein „Schaufenster für die ganze DDR“ sein, das fiel auf – insbesondere denen, die von außerhalb, etwa aus dem Westen nach Ostberlin kamen: Die Stadt war politisch dekoriert, also voller Losungen, optimistischen Slogans mit Fahnen und Transparenten. Diese Utopien standen aber oft in merkwürdigem Kontrasten zur Realität in der Stadt - gerade wenn eben jene Plakate und Losungen an heruntergekommenen Altbaufassaden im Stadtteil Prenzlauer Berg zu sehen waren. Gleichzeitig wurde viel investiert etwa in die Umgestaltung des Stadtzentrums und der zentralen Bereiche der Stadt: Mit dem 1969 begonnenen Umbau des Alexanderplatzes und mit dem Bau des Fernsehturms sollte nach außen der Eindruck einer modernen sozialistischen Metropole erzeugt werden.
Konnte sich in Ost-Berlin eine besondere Kulturszene entwickeln?
Es gibt die berühmten Theater: Mit der Volksbühne in den 1970er und 80er Jahren unter Benno Besson, der viele Theaterleute angezogen hat, auch das Deutsche Theater. Viele Schriftsteller, unter anderem Christa Wolf, haben in der Hauptstadt gelebt. Es gab eine lebendige Musikszene.
In der Ausstellung war es uns wichtig zu zeigen, dass es viele Bereiche in der Kultur gab wie Jugendklubs und Galerien, die zwar zunächst staatlich in Gang gesetzte Institutionen waren, aber ein sehr eigensinniges Leben geführt haben: Wo sich auch eine selbstbewusste und kritische Szene entwickelt hatte, wo Jazz gespielt wurde, wo kritische Kunst ausgestellt wurde. In den 1970er und 80er Jahren wurde das nicht einfach verboten, sondern es gab Aushandlungsprozesse zwischen dem Regime und den um Autonomie bemühten Künstlern. Es war nicht mehr ganz so klar, was erlaubt ist und was nicht, und das musste jedes Mal wieder ausgetestet werden. Das hat dann Berlin und seine kulturelle Szene so spannend gemacht. Natürlich gibt es auch eine Ost-Berliner Clubtradition - noch jetzt wird Berlin wegen seiner Clubszene gefeiert, zieht viele junge Leute aus der ganzen Welt an.
Was zeigt „OST-Berlin. Die halbe Hauptstadt“?
Wir sehen eine Zeitreise. Die Ausstellung ist so inszeniert, das sie nicht nur Ost-Berliner anspricht, die viele Geschichten, Fotografien und Objekte wiedererkennen werden. Als würde man in eine fremde, einem unbekannte Stadt kommen, die man Schritt für Schritt entdeckt: Vom großen Stadtmodell bis zu einer Straßenbahnfahrt per Film durch die ganze Stadt - von den Neubau-Gebieten bis in das Stadtzentrum zum Rosentaler Platz. Es gibt ein ganz spannendes Straßenpanorama aus den 80er Jahren, da kann man gewissermaßen durch die Stadt flanieren. Wir zeigen ganze Fassadenelemente vom Zentrum-Warenhaus, dem Konsumtempel des Ostens.
Es gibt einen ganzen Raum, der Geschichten von Ostberlinern erzählt: Objekte mit kleinen Geschichten dazu. Wir laden die Besucher auch dazu ein, ihre Geschichten hinzuzufügen. Was wir beobachten ist, dass viele in die Ausstellung kommen und reden wollen - ihre Erinnerungen und Lebenserfahrungen austauschen wollen. Das hat gar nichts damit zu tun, dass man ostalgisch die DDR zurück haben wolle, sondern, dass diese Erfahrungen ihren Platz in der Stadt haben sollen.
Die Ausstellung "OST-Berlin. Die halbe Hauptstadt" ist noch bis zum 9. November 2019 im Ephraim-Palais des Stadtmuseums in der Berliner Poststraße zu sehen. Begleitend zur Schau ist im Christoph-Links-Verlag der Band „Ost-Berlin. 30 Erkundungen“ (25 Euro) erschienen.
Hier das gesamte Interview mit Dr. Jürgen Danyel zum Nachhören: