Autorius: RT deutsch Šaltinis: https://deutsch.rt.com/inland/... 2016-12-24 12:09:14, skaitė 962, komentavo 0
Oh du Fröhliche: Prominente, Politiker, Konzernchefs und Kirchenmänner verteilen Almosen an Arme. Tafeln wollen zukunftsfähig werden - und Veganer sind erregt über fleischessende Obdachlose.
von Susan Bonath
The same procedure as every year: Um die Weihnachtszeit widmen sich christlich-abendländische Privatiers wieder jenen, die Politiker im restlichen Jahr gerne als Leistungsversager titulieren. Öffentlichkeitswirksam üben sich Prominente, Politiker, Konzernchefs, Kirchenmänner und Tafeln an karitativer Wohltätigkeit. Die Zahl der ganz unten Angekommenen wächst und wächst in Deutschland. Der moderne Ablasshandel blüht im Hort der westlichen Grundwerte.
Papst Franziskus hatte es an seinem 80. Geburtstag am 17. Dezember vorgemacht. Acht Obdachlose aus Italien, Rumänien, Moldau und Peru ließ er an diesem Tage in den prunkvollen Vatikan einfliegen, wie die Webseite katholisch.de berichtete. Er speiste sie mit einem Frühstück, Süßigkeiten und Torte. Fotos des römisch-katholischen Kirchenoberhauptes mit dankbar dreinblickenden Bettlern gingen durch die Medien. Wie das Leben der Eingeladenen an den restlichen 364 Tagen des Jahres aussieht, gab die Meldung nicht her.
„Das schaffen wir nicht (mehr)“
Der Sänger und Entertainer Frank Zander und dessen Sohn Marcus lächeln am Montag ein eher gequältes Lächeln in die Kameras. Prunk und überbordendes Elend prallen auf den Fotos aus dem Neuköllner Hotel Estrel vom Montagabend aufeinander. Zum 21. Mal bewirteten die Zanders Obdachlose. Aus anfangs 250 sind inzwischen 3.000 geworden. Das ist nur ein geschätztes Sechstel der Berliner Betroffenen. Man trifft sie zu jeder Jahreszeit - unter Brücken, in Parks, in Ruinen.
„Theoretisch könnten wir doppelt so viele einladen, aber das schaffen wir nicht“, sagt der Sohn gegenüber dem Tagesspiegel. Zander kompensiere das „emotional“, zum Beispiel mit Geschenktütchen für jene, die im Verteilungskampf in Suppenküchen und Notunterkünften – zwischen deutschen und osteuropäischen, alten und jungen Obdachlosen – um die Einlassbändchen zurückstecken mussten. Sein Statement wirkt so glaubhaft wie hilflos. Denn die Zahl der Menschen auf der Straße wächst. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rechnet bundesweit mit mehr als einer halben Million Betroffenen bis 2018. Bereits im Jahr 2014 zählte sie so viele Menschen auf der Straße, wie insgesamt in Wuppertal leben: Knapp 350.000.
Veganer fordern fleischlose Armenspeisung
Man könnte die Menschen unterbringen. Leerstand gibt es in Berlin genug. Enteignungen von Immobilienspekulanten, die Häuser verfallen lassen, um irgendwann Luxusbauten für Reiche hinzustellen, erlaubt das Grundgesetz. Offiziell starben seit 1991 bundesweit knapp 300 Obdachlose den Kältetod. Erst vor wenigen Tagen fand man im thüringischen Suhl einen Erfrorenen.
Doch das war im Vorfeld von Zanders diesjähriger Mildtätigkeit nicht das Problem des Musikmanagers Andreas „Bär“ Läsker. Der so radikale wie reiche Vorbeter der Veganer-Szene stieß sich an den von Zander servierten 3.000 Gänsekeulen. Der Musiker hätte den Wohnungslosen, die an 364 Tagen im Jahr vermutlich häufig nicht wissen, wie sie satt werden, auch Gemüsebuletten servieren können, so Läsker letzte Woche auf Facebook. Die Empörung der Veganer-Szene über Zanders „Gänseleichenfledderei“, aus beheizten Wohnzimmern ins World Wide Web getippt, ließ nicht lange auf sich warten. Derart heftig fiel sie aus, dass Läsker den Beitrag inzwischen entfernt und sich eine Entschuldigung abgerungen hat.
Container wegen unbezahlbarer Mieten
Drohender Wohnungsverlust ist längst nicht mehr das Problem kleiner Randgruppen. Die Ursachen sind nicht zuletzt steigende Mieten bei wachsender Erwerbsarmut. Über zwei Millionen deutsche Haushalte – und doppelt so viele Menschen – waren 2015 verschuldet. Zu sechs Millionen Hartz-IV-Beziehern kommen eine Million Rentner und Behinderte in der Grundsicherung sowie sieben Millionen Menschen mit einem Niedriglohn von unter zehn Euro. Das geht aus jüngsten Berichten der in diesem Punkt nicht zur Übertreibung neigenden Bundesregierung hervor. Wer Mietschulden anhäuft, sei es durch geringes Einkommen oder Hartz IV-Sanktionen, dem droht schnell die Zwangsräumung. Deren Zahl hat sich alleine in Berlin seit 2009 auf rund 10.000 im Jahr 2015 verdoppelt.
In Stockach, einer 16.000-Einwohnerstadt in Baden-Württemberg, stehen noch im Dezember zwei Zwangsräumungen an, wie der Südkurier am vierten Advent berichtete. Freie günstige Wohnungen gibt es dort nicht. Von 34 Zimmern, die die Stadt für Obdachlose bereithält, seien 31 belegt – der Bedarf wachse. Zehn Container will Bürgermeister Rainer Stolz deshalb zusätzlich aufstellen lassen. Seine Stadt könne keine festen Unterkünfte zu „sozial verträglichen Preisen aus dem Hut zaubern“, erklärte er der Zeitung.
Neue „soziale Architektur“: Schlafboxen
In Köln lebt die Armut, wie in vielen Großstädten, noch sichtbarer auf den Straßen. Der Hobbyschreiner Sven Lüdecke baut dort in seiner Freizeit transportable Mini-Wohnboxen aus Sperrmüll: Zweieinhalb Meter lang, halb so breit und mit 1,60 Meter zu niedrig, um aufrecht darin zu stehen. Die Boxen, bestückt mit gesponserten Matratzen, verschenkt er an Bedürftige. Er trifft sie im Park oder am Bahnhof. Inspiriert hat ihn der New Yorker Innenarchitekt Gregory Kloehn, wie der Deutschlandfunk Ende November berichtete. Seit Jahren baut Kloehn ähnliche Miniatur-Häuschen für die Armen jenseits des Atlantiks.
Die Auflagen vom Kölner Bauamt dafür sind hoch. Der Brandschutz muss eingehalten werden und bei längerem Gebrauch eine Baugenehmigung her. Es gibt Befürchtungen, dass die Hütten „nicht ins Stadtbild passen“, so Lüdecke. Das Drama: Der Bedarf an solchen Boxen ohne Strom, Wasser und Klo ist riesig. Der Sender nennt sie „Architektur mit sozialem Anspruch“. Diese sei „auf dem Vormarsch“, betont er.
Tafeln wollen weiter expandieren
Eine blühende Form der Armenspeisung sind die Tafeln. Über 900 sind im Bundesverband organisiert. Weitere solche Einrichtungen hängen an Caritas, Diakonie oder den Kommunen. Sie holen aussortierte Lebensmittel aus Supermärkten ab. Bedürftige bekommen sie zu geringen Preisen. Zunehmend beklagen die Tafeln zwischen Nordseeküste und Oberbayern wachsende Überlastung. Die von Handelsketten derart billig entsorgten Waren decken längst nicht mehr den steigenden Bedarf. Der Streit darum, wer tafelpassberechtigt ist und wer nicht, tobt im Armenhaus des christlichen Abendlandes.
Das „Fest der Nächstenliebe“ hat auch in diesem Jahr nicht Halt gemacht vor den Essenausgabestellen. Spendenaufrufe geisterten in der Vorweihnachtszeit durch die Medien. Tütchen und Päckchen werden gepackt: Süßigkeiten und Spielzeug für arme Kinder, Schlafsäcke und warme Socken für Obdachlose. Karitatives Engagement für die dritte Welt war früher. Heute dient sie der eigenen Armutsverwaltung.
Und Letztere ist zukunftsfähig. Das betont der Bundesverband der Tafeln in Deutschland auf seiner Webseite. Er hat ein neues Projekt namens „Junge Tafel“ ins Leben gerufen, um Helfernachwuchs zwischen 16 und 29 Jahren zu schulen und das Konzept der Armenspeisung „mit innovativen Ideen weiterzuentwickeln“. Diese Aussicht gibt zu denken.
Fordern und Fördern mit Grube, Gauck und Steinmeier
Wo es um karitative Selbstdarstellung geht, lassen sich auch Bahnchef Rüdiger Grube und seine Freunde aus der Politik nicht lumpen. Gemeinsam mit Bundespräsident Joachim Gauck und dessen avisiertem Nachfolger und jetzigen SPD-Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, ließ sich Grube pünktlich zum vierten Advent als Hauptsponsor für den Ausbau der Bahnhofsmission am Berliner Zoo feiern. Letztere soll auf 500 Quadratmetern in bahneigener Immobilie zusätzliche Beratungsräume erhalten, ließ der Bahnchef am Wochenende gegenüber der Presse verlauten. Auch Steinmeier habe dafür 50.000 Euro aus seiner Portokasse gezogen. Der SPD-Politiker sei schließlich Fachmann, so der Tagesspiegel. Grund: Steinmeier promovierte einst zum Thema Obdachlosigkeit.
Wer die Politik von SPD und Union verfolgt, ahnt, worum es beim Grube-Steinmeier-Projekt geht: „Fördern und Fordern“ alias „Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitssuche“. Die 14,5 Millionen Hartz IV-Bezieher der vergangenen zwölf Jahre – von der CSU in einem am 14. November veröffentlichten Wahlwerbevideo wenig freundlich als Schmarotzer tituliert – dürfte diese Parole zusammenzucken lassen. Seit zwölf Jahren rechtfertigt die Politik harte Hartz IV-Sanktionen mit „Fördern und Fordern“.
Doch immerhin: Da Kürzungen und Streichungen des Existenzminimums nicht selten Obdachlosigkeit bescheren, droht dem medialen Ablasshandel der Wirtschafts- und Politprominenz noch lange nicht das Aus. Verteidiger der westlichen Werte können endlich ihr christlich-abendländisches „Herz für Arme“ vor Ort ausleben. Frohe Weihnachten!