Autorius: RT Šaltinis: https://deutsch.rt.com/meinung... 2022-07-21 11:29:00, skaitė 820, komentavo 0
Junge Frau überreicht Blumen auf der letzten Militärparade der NVA, 1989
von Dagmar Henn
Es ist schon ein widerliches Stück, das der Deutschlandfunk (DLF) da über das Verhältnis zwischen Ostdeutschen und Russen abgeliefert hat; aber es ist auch ausgesprochen faktenschwach. Der erste Punkt, über den ich gestolpert bin, ist eigentlich schon ein Beleg dafür, welche Freundschaft künstlich ist und welche nicht: Da kommt erst die Bemerkung, private Kontakte zwischen den russischen Soldaten und den DDR-Bürgern seien nicht erwünscht gewesen. Und dann diese Aussage:
"Alles ab Unteroffizier lebte ja außerhalb der Kaserne."
Nun, meine Heimatstadt München lag in der amerikanischen Zone. Und ich kann persönlich bestätigen, dass auch die Offiziere der US-Truppen in der abgesonderten Siedlung der US-Armee lebten, nicht in der Stadt. Begegnet ist man sich nur in einigen wenigen Clubs in der Stadt und einmal im Jahr auf dem deutsch-amerikanischen Volksfest.
Natürlich gab es trotzdem Beziehungen. Wolfgang Koeppen beschrieb das bereits in den 1950ern in seinem Roman "Tauben im Gras". Darin schilderte er auch, dass es insbesondere die schwarzen US-Soldaten waren, die gut ankamen, weil fürsorglicher und weniger dominant. Die Kinder hatten es oft schwer, weil sie eben nicht weiß waren, und falls die Mutter dann ohne den Vater zurückblieb, wurden sie oft vom Jugendamt in Heime gesteckt. (Das weiß ich übrigens aus einer historischen Aufarbeitung, die das Münchner Jugendamt selbst in meiner Stadtratszeit in Auftrag gegeben hatte.)
Die reine, pure Liebe. Bei der es selbstverständlich auch die andere Seite gab, eine praktizierte reale Freundschaft – während des Vietnamkriegs gab es ein ganzes Netzwerk von deutschen Kriegsgegnern, das GIs, die auf dem Weg nach Vietnam oft zuerst eine Zeit lang in Deutschland stationiert waren, desertieren half. Eine echte Underground-Railroad, die sie mit falschen Papieren versorgte und außer Landes brachte.
Aber zurück zur Erzählung des Deutschlandfunks. Da wird über den Abschied der sowjetischen Armee geschrieben:
"Gemischte Gefühle auch bei den Deutschen: Sollen sie traurig sein, weil die Sowjets abziehen, oder froh, weil die Besatzer bald endgültig weg sind? In den Gesichtern spiegelt sich die ganze Ambivalenz des ostdeutsch-russischen Verhältnisses. Die Weimarer Historikerin Silke Satjukow sagt sehr drastisch, die Sowjetarmee sei verabschiedet worden 'wie räudige Hunde'."
Als die Mc-Graw-Kaserne in München aufgelöst wurde, gab es zwar noch einmal das Volksfest und ein paar offizielle Rituale, aber ich kann mich nicht an Berichte entsinnen, dass irgendwo weinende Deutsche am Straßenrand standen. Im Gegenteil; es gab in der notorisch unter Wohnungsmangel leidenden Stadt erst einmal Freude über den gewonnenen zusätzlichen Wohnraum. Auch wenn sich bald herausstellte, dass er all die Jahrzehnte heftigst mit DDT behandelt worden war.
Die Aussage beim Deutschlandfunk ist indes höchst manipulativ. Die sowjetische Armee zog 1994 ab. Das heißt, die Spitzen der Verwaltung waren längst von Westdeutschen übernommen, die politische Landschaft unter Kontrolle gebracht, und damit war eine größere Inszenierung des Abschieds nicht zu erwarten. Schließlich war die Sowjetunion in den Augen jener neuen Besatzer der Verlierer, und Verlierer haben sich davonzuschleichen wie geprügelte Hunde. Und sie waren nicht nur der Verlierer, sie waren der Feind, jahrzehntelang.
Interessant, dass der engste Berührungspunkt zwischen DDR-Bürgern und sowjetischen Soldaten im gesamten Text nicht vorkommt. Er unterliegt einem Tabu. Es ist nämlich die NVA. Während des Armeedienstes hatte zumindest jeder männliche DDR-Bürger engeren Kontakt zu sowjetischen Soldaten, bei gemeinsamen Manövern. Ganz zu schweigen von DDR-Offizieren. Sie teilten eine militärische Ausbildung, eine militärische Kultur, die sich völlig von der des Westens unterschied.
Und es ist schon interessant, dass jetzt, während der militärischen Operation der russischen Armee in der Ukraine, unter den Dutzenden täglich erscheinender Artikel und Analysen keine einzige Betrachtung ist, die sich das Wissen der ehemaligen NVA-Leute über die russische Armeetradition und -strategie zunutze macht. Ich habe allerdings dank einiger Gespräche mit ehemaligen NVA-Leuten eine Ahnung, warum. Die halten nicht viel von den NATO-Truppen. Die hielten auch nicht viel von der Bundeswehr. Weicheier, die nie unter scharfem Beschuss trainieren und mit Panzern üben, die nicht aufmunitioniert sind. So etwas käme da.
Und der Begriff Waffenbrüderschaft war keine leere Floskel, sondern etwas Konkretes. Wenn man nach dem realen Kern der Beziehungen zwischen DDR- und Sowjetbürgern sucht, ist er dort. Aber man darf eben über die NVA nicht reden, man muss tun, als hätte es sie nie gegeben, weshalb sie in dem gesamten Text nicht einmal vorkommt.
Natürlich sucht sich der Autor des Deutschlandfunks Zeugen, die zu seinem Narrativ passen. Und findet einen Journalisten, Sergej Lochthofen, der ihm Folgendes zum Abschied der sowjetischen Armee erzählt:
"Es war mehr Wehmut in der Luft. Und irgendwo erkläre ich mir das mit einer Art Stockholm-Syndrom. Man hat zusammen eine große Zeit durchlitten. Man war Teil einer Leidensgemeinschaft."
Stockholm-Syndrom. Das ist das, was Geiseln gegenüber den Geiselnehmern entwickeln. Das könnte man eher den heutigen Transatlantikern vorwerfen.
Und es ist schon erbaulich, was alles zum Naturereignis stilisiert wird. Derselbe Zeuge weiter:
"Ab Mitte der 90er passierte in den Medien und im alltäglichen Leben etwas ganz Betrübliches für die Ostdeutschen: eine Entwertung der eigenen Biografien. Also Anfang der 90er verloren diese alten Generationen ihre Jobs, ihre Expertise und häufig auch ihre Würde, weil man erzählte in den Medien, dass das DDR-Leben und die DDR-Bürger eigentlich nicht viel wert sind."
Wenn der gute Mann niemanden gefunden hätte, der ihm das so ins Aufnahmegerät buchstabiert, er hätte ihn erfinden müssen. Es passierte etwas Betrübliches ... Nein, es passierte nicht. Einer der Punkte, die belegen, dass es sich um eine Annektion und nicht um eine Wiedervereinigung handelte, ist die Nichtanerkennung der DDR-Ausbildungen. Dabei gab es ein paar Ausnahmen in Berufen, in denen gerade Mangel herrschte (Rechtsanwälte beispielsweise). Aber gleich, ob es um Studiengänge oder Facharbeiterausbildungen ging, DDR-Abschlüsse waren nichts wert. Sprich, die DDR-Bürger wurden im angeblich eigenen Land behandelt wie Migranten.
Das war natürlich eine politische Entscheidung. Technisch war sie völliger Unfug, da die DDR-Ausbildung in manchen Bereichen sogar besser war als ihr Westäquivalent; wie alle sozialistischen Staaten hatte die DDR wesentlich mehr in Bildung investiert als das im Westen so üblich war. Oder schlimmer noch – man erinnere sich an die erste PISA-Studie. Da siegte Finnland, mit Abstand. Finnland hatte aber sein System der Grundschulen von der DDR abgekupfert.
Wären die Abschlüsse anerkannt worden, hätten die DDR-Bürger mehr verdient als die Wessis. Sie hätten weiter die Spitzen der eigenen Verwaltung besetzen können (die bis heute zu 90 Prozent von Westdeutschen gestellt werden). Es ist das gleiche Motiv wie beim Umgang mit den Wohnungen; die DDR-Bürger sind die einzigen im gesamten ehemaligen Gebiet des Warschauer Vertrags, denen die Wohnungen, in denen sie lebten, nicht als ihr Anteil am Volkseigentum überschrieben wurden. Anders gesagt, es wurde durch gezielte administrative Eingriffe, durch politische Beschlüsse dafür gesorgt, dass der gesamte Osten ärmer war als der Westen. Zusätzlich zur Ausplünderung und Stilllegung der Betriebe und der Privatisierung bis zum letzten Kiefernwäldchen, mit Vorliebe durch Rückgabe an irgendwelche Von und Zu.
Für den Deutschlandfunk, der schließlich eine offizielle Institution jener neuen Besatzer ist, muss all das seine politische Qualität verlieren. Und so wird aus der realen Erfahrung einer politisch intendierten Herabsetzung mit massiven materiellen Folgen eine Kränkung, auf die bisweilen auch mit Nostalgie reagiert wird.
Besonders putzig ist, wenn man die westdeutsche Geschichte kennt, diese Passage, bei der sich der Autor wieder seiner zweiten Zeugin bedient, einer Historikerin an der Universität Halle, Silke Satjukow:
"Die Prägung der Ostdeutschen durch die sowjetischen Besatzer hat sich von 1945 bis zum Abzug Anfang der 90er verändert. Diejenigen, die im Zweiten Weltkrieg noch Schuld auf sich geladen hatten, bekamen ein Angebot: Wenn sie mitmachten im neuen System, dann wurde meist über ihre Schuld hinweggesehen, dann konnten sie auf Karriere hoffen."
Das ist wirklich kühn und funktioniert nur bei jenen, die den Artikel 131 Grundgesetz nicht kennen. Er wurde 1951 unter der Regierung Adenauer eingefügt und besagt:
"Die Rechtsverhältnisse von Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienste standen, aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden, sind durch Bundesgesetz zu regeln."
Das Bundesgesetz regelte dann durch einen Anspruch, gemäß der vorhergehenden Stellung wieder in den öffentlichen Dienst zurückkehren zu können.
Moment mal, das waren doch so gut wie alles Nazis? Richtig. Im gleichen Jahr gab es übrigens ein Bundesgesetz, dass die Entfernung aller Kommunisten aus dem Staatsdienst anordnete. Damit war gewissermaßen die Übernahme der Westrepublik durch die Naziverwaltung komplett.
Da ist nirgends ein Wort von Schuld. Obwohl sie teils immens war – sämtliche Polizisten waren in die Sondereinsatzkommandos geschickt worden und an Massenmorden beteiligt. Sie wurden alle wieder eingestellt. So wie die Richter; es war nicht nur Filbinger, der Unrechtsurteile gefällt hatte. Davon gab es Tausende. Und als mit dem Verbot der FDJ und einige Jahre später der KPD die Kommunistenverfolgung im Westen wieder richtig losging, trafen die Verfolgten oft auf die gleichen Polizisten und die gleichen Richter, deren Bekanntschaft sie schon zwischen 1933 und 1945 gemacht hatten.
Die Formulierung im Deutschlandfunk, auf die DDR bezogen, impliziert, dort seien massenhaft Nazis in den Apparat integriert worden, auch wenn durch den kleinen Zusatz "wenn sie mitmachten im neuen System" die Lüge etwas abgeschwächt wird. Weil man "mitmachen im neuen System" mit ganz viel gutem Willen als Bekenntnis zum Antifaschismus deuten könnte. Aber die Führung des Staates lag in den Händen von Menschen, die von den Nazis verfolgt worden waren, nicht in den Händen jener, die als Nazis verfolgt hatten, wie ein Theodor Oberländer, unter Adenauer Minister für Vertriebene, zuvor Verbindungsoffizier zwischen der Wehrmacht und dem Bataillon Nachtigall bei den Pogromen in Lemberg.
In dem Beitrag heißt es dann weiter:
"Vergewaltigungen und Plünderungen durch Sowjetsoldaten, die Demontage von Industriebetrieben nach 1945 waren in der DDR offiziell Tabuthemen und verschwanden langsam im Dunkel der Vergangenheit."
Ach, wirklich? Im Gegensatz zu den Westdeutschen erfuhren die DDR-Bürger selbst im Schulunterricht von den Verheerungen, die die Naziwehrmacht in der Sowjetunion angerichtet hatte. Es gab einen ganz direkten, materiellen Unterschied zwischen dieser und den USA. Die USA hatten vom Krieg ökonomisch profitiert. In den USA war nichts zerstört. In der Sowjetunion waren über tausend Städte nur noch Ruinenfelder. Übrigens haben sich in den ersten Jahren auch die westlichen Besatzungsmächte bedient; das wird nur gern vergessen und von der Erinnerung an den Marshallplan überlagert. Nein, die Reparationsleistungen waren kein Tabuthema. Aber man wusste wohl, dass man hier auch Schulden der Westrepublik beglich.
Erst spät kommt der DLF-Artikel zum eigentlichen Punkt, dem auf dem Gebiet der DDR vorhandenen Unwillen, die Propaganda über die bösen Russen zu glauben ("Russen sind keine Europäer"):
"So halten laut einer aktuellen INSA-Umfrage in Thüringen AfD- und Linke-Wähler signifikant häufiger die NATO für mindestens mitschuldig an Russlands Angriff, bald gefolgt von Wählern der FDP. Auch sie lehnen in satter Mehrheit Sanktionen und Waffenlieferungen ab."
Wie die nur darauf kommen? Haben sie unerlaubterweise einen Blick auf die Karte der NATO-Osterweiterung geworfen? Oder Artikel gelesen, in denen der Inhalt der Minsker Abkommen benannt wurde? Oder womöglich gar sich, unter hinterhältiger Nutzung noch vorhandener Kenntnisse verbotener Fremdsprachen, direkt in russischen Quellen informiert? Vom Deutschlandfunk haben sie jedenfalls nichts über eine "Mitschuld" der NATO erfahren. Schon gar nichts darüber, dass die NATO spätestens seit 2014 an einer Eskalation gegen Russland arbeitet.
Wie auch immer. Für den Deutschlandfunk kann jede Einstellung, die nicht die Sanktionen bejubelt oder mindestens Waffenlieferungen an die Ukraine begrüßt, nur die Folge eines psychischen Schadens sein, etwas, das selbstverständlich nur in Ostdeutschland existiert. Dabei manipuliert der Autor in der Auswahl seiner Zeugen. Klar, Bodo Ramelow und Friedrich Merz, der eine traurige Geschichte liefert, dass seine antirussischen Ausfälle in Sonneberg nicht beklatscht wurden, kann jeder zuordnen. Auch der Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung ist lokalisiert.
Oleg Schewtschenko, der "Sozialdemokrat", ist tatsächlich Landesvorsitzender der Jusos in Thüringen, und twittert Dinge wie diese hier:
Die Historikerin Silke Satjukow hat zu dem Thema "Besatzer. Die 'Russen' in Deutschland 1945 bis 1994" promoviert, vorher an einem Projekt "zur vergleichenden Propagandageschichte Mittel- und Osteuropas" gearbeitet, und ist, wie das bei frischeren Lehrstuhlinhabern zu sein pflegt, voll auf Linie. Sie sitzt im wissenschaftlichen Beirat der "Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur".
Irina Scherbakowa, die "Übersetzerin und Menschenrechtlerin", gehört zum Umfeld der Heinrich-Böll-Stiftung. Eine kleine Genugtuung ist dabei, dass der Deutschlandfunk, aus irgendeiner unbewussten Regung, den Namen der Russin Scherbakowa nach den vom Amt Rosenberg erfundenen Regeln "ukrainisiert" als Sherbakova schreibt...
Sergej Lochthofen, der die Schlussworte des Textes liefern darf, war bis zu einem Krach mit der WAZ-Konzernführung 2009 Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen und ist ganz zufällig der Vater von Boris Lochthofen, dem MDR-Direktor. Beider Karrieren sind ohne die richtige Einstellung gar nicht möglich. Er darf, als unschuldiger Zeuge mit einem russischen Vornamen, erklären:
"Sie akzeptieren diese schrecklichen Verbrechen nicht als russischen Krieg und Putin-Krieg, sondern fast als Unglück. Ja, also, 'Was geht es uns an!?' Diese rein emotional aus-dem-Bauch-Art zu handeln und auch zu verstehen, das ist im Osten sehr weit verbreitet."
Könnte es nicht doch sein, dass der Geschichtsunterricht der DDR, der nicht personalisierte, sondern Geschichte als Auseinandersetzung um Interessen darstellte ("Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen", Marx), die Mischung aus Dämonisierung, emotionaler Überflutung ("diese schrecklichen Bilder") und Personalisierung nicht ganz so wirksam werden lässt? Alles, was man in den westlichen Medien liest oder sieht, zielt auf emotionale Manipulation; möglich, dass es den nüchterner sozialisierten DDR-Bürgern vor diesem Cocktail einfach graust. Und dass man ihnen schlecht Räuberpistolen über die barbarischen Russen erzählen kann, wenn sie mit ihnen schon einige Nächte lang den Wodka geteilt hatten. Echte, lebendige Afrikaner überzeugen einen auch recht schnell davon, dass dort keine Kannibalen hausen (was noch bis in die 1970er ein regelmäßiges Motiv in bundesdeutschen Karikaturen war).
Vielleicht erweist es sich noch als Glück für Deutschland, dass zumindest ein Teil des Landes eine höhere Resistenz gegen die NATO-Propaganda besitzt. Denn irgendwann müssen die Brücken, an deren Sprengung der Deutschlandfunk mit Begeisterung teilnimmt, wieder aufgebaut werden. Und das Land braucht eine Rückkehr zu einer politischen Vernunft, bei der die wirklichen Leben der wirklichen Einwohner im Vordergrund stehen, nicht transatlantische Rauschzustände, Westwerte und "die Freiheit der Ukraine".