Autorius: RT deutsch Šaltinis: https://deutsch.rt.com/europa/... 2016-12-03 18:09:56, skaitė 1104, komentavo 0
Am Sonntag stimmen die Italiener über eine Verfassungsreform ab. Die zweite Kammer des Parlaments, der Senat, soll kleiner werden. Ministerpräsident Matteo Renzi bekommt Gegenwind aus allen politischen Lagern. Ein "Nein" könnte auch für ihn das Aus bedeuten.
Das hatte gerade noch gefehlt: Wenige Tage vor dem Verfassungsreferendum in Italien hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi demonstrativ den Rücken gestärkt. In Berlin äußerte er:
Wenn ich wählen könnte, ich würde für ihn stimmen, obwohl er nicht meiner politischen Familie angehört.
Er wünsche Renzi "jeden Erfolg", so der Minister. Ob Schäuble Renzi damit einen Gefallen getan hat, ist mehr als fraglich. Der deutsche Finanzminister ist, gelinde gesagt, nicht gerade sehr populär in Italien. Die harte Sparpolitik aus Berlin, die Europa wieder auf Trab bringen soll, ist für viele Italiener ein rotes Tuch. Die italienischen Medien bezeichnen Schäuble gerne mal als "harten Hund". Der Fraktionsvorsitzende der Forza Italia, Renato Brunetta, nannte Schäuble sogar einmal einen "Dracula".
Doch auch ohne Schäuble hat Renzi genug Ärger. Die Front der Nein-Sager mit Blick auf das bevorstehende Referendum ist erstaunlich breit gefächert. Sie reicht von ganz links bis ganz rechts. Und selbst in Renzis eigener Partei, dem Partito Democratico, gibt es Abweichler. In dem Referendum geht es darum, das Zweikammersystem in Italien abzuschaffen.
Bis jetzt sahen sowohl die ordentliche als auch die konstitutionelle Gesetzgebung eine zwingende Zustimmung beider Kammern, Parlament und Senat, vor. Sollte die Verfassungsreform vom Volk angenommen werden, wird nur noch das Parlament ordentliche Gesetze und das Haushaltsgesetz verabschieden. Auch die Vertrauensfrage kann nur noch im Parlament gestellt werden.
Der Senat soll stattdessen nur noch als eine Art Vertretungsorgan für die Regionen dienen. Die Anzahl der Senatoren soll von 315 auf 100 reduziert werden, die auch nicht mehr direkt vom Volk gewählt werden würden. Weitere fünf Senatoren würden für sieben Jahre vom Staatspräsidenten ernannt. Der Entwurf stieß von vornherein auf eine breite Ablehnung.
Den größten Druck auf Renzi übt sicher die Oppositionspartei MoVimento 5 Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung) des Kabarettisten Beppe Grillo aus. Die 2009 aus einer Bürgerbewegung hervorgegangene Partei führt die letzten landesweiten Umfragen an. Dass die Fünf-Sterne-Bürgermeisterin von Rom, Virgina Raggini, jüngst knapp an einer Amtsenthebung vorbeigeschlittert ist, tut der Popularität der Protestpartei keinen Abbruch.
Raggini hatte eine Umweltassessorin für Müllfragen eingesetzt, gegen die ein Korruptionsverfahren der Staatsanwaltschaft läuft. Raggini gab zudem zu, von dem Verfahren gegen die Funktionärin gewusst zu haben. Die Wähler verzeihen der Bewegung des "autoritären Nihilisten" (Die Welt) und populären Bloggers, der einst den "Vaffanculo"-Tag (zu Deutsch: "L.m.a.A.") ins Leben gerufen hatte, ungleich mehr als den traditionellen Politikern. Zumal Beppe Grillo im September angekündigt hatte, nach zwei Jahren Auszeit wieder den Parteivorsitz übernehmen zu wollen. Grillo schaltete auch sogleich in den Angriffsmodus und bezeichnete Ministerpräsident Renzi als "angeschossene Sau".
Zuvor hatte er ihn auch schon "Serienkiller" genannt, weil er "die Jugend Italiens ihrer Zukunft beraubt". Für die Fünf-Sterne-Partei ist das Referendum eine willkommene Gelegenheit, Renzi loszuwerden. Renzi hatte zu Beginn der Kampagne für die Verfassungsreform zudem sein politisches Schicksal mit einer Zustimmung verknüpft. Später ruderte er jedoch wieder zurück. Ob er eine Niederlage politisch überleben würde, ist allerdings höchst fraglich.
Auch die Lega Nord, die in Umfragen bei zehn Prozent stagniert, hat sich klar gegen das Referendum positioniert. Sie verknüpfte auch als einzige Partei ein "Nein" gegen die Reform mit einem "Nein" zu Europa. EU-Gegner wie die Lega Nord versprechen sich von einem Scheitern der Reform Aufwind für einen möglichen "Italexit".
Auch aus den eigenen Reihen gibt es Gegenwind für Renzi. Der frühere Parteichef des Partito Democratico, Pier Luigi Bersani, führt zusammen mit dem früheren Regierungschef Massimo D'Alema die innerparteiliche Opposition gegen Renzis Reformpläne an. Es gehe darum, "Renzi zu schwächen", so Bersani. Aber er dürfe nicht stürzen. Eine große Rolle bei diesem Machtpoker spielen auch persönliche Kränkungen. So hatte Renzi 2013, damals noch Bürgermeister in Florenz, Bersani aus dem Amt des Parteivorsitzenden gekippt.
Auch bezüglich der Ablehnung durch Silvio Berlusconis "Forza Italia" könnten persönliche Animositäten zu den bedeutsamsten Motivationsquellen zählen. Die derzeit noch zweitstärkste Kraft im Parlament spricht von einem "konstruktiven Nein" bei dem Referendum. Aber auch ein konstruktives Nein bleibt ein Nein. Es wird vermutet, dass Silvio Berlusconi mit der Ablehnung eine alte Rechnung begleichen will. Renzi hatte 2013 Berlusconi aus dem Senat geworfen und sich bei der Wahl des italienischen Staatspräsidenten nicht mit den Konservativen abgesprochen.
Das linke Lager sieht in der Verfassungsreform indessen den Versuch, einen weiteren Schritt in Richtung autoritärer Herrschaft zu gehen. Schon 2015 hatte die Regierung Renzi mit dem neuen Wahlgesetz "Italicum" dafür gesorgt, dass der stärksten Partei ein massiver Regierungsbonus zukommt - zusätzlich zu einer wesentlich größeren Macht für den Ministerpräsidenten. Es wird von linker Seite befürchtet, dass die Reform Renzi in die Lage versetzen könnte, neoliberale Reformen auch gegen heftige gesellschaftliche Widerstände durchzusetzen.
Der linke Flügel des Partito Democratico, die Gewerkschaften CGIL und FIOM, Rifondazione Comunista und die Fraktion von Sinistra Italiana werden allesamt gegen die Reform stimmen. Der britisch-italienische Historiker Paul Ginsborg sagte
Eine so schwerwiegende Reform, die noch dazu mit dem "Italicum" einhergeht, lässt die klare Absicht erkennen, die politische Macht in Richtung einer Präsidialrepublik zu verengen, und könnte einen starken Mann an die Macht bringen. Schon dieses Element allein weckt in mir Zweifel an der Reform.
Neben der Ablehnung von rechter wie auch linker Seite gibt es in Italien zudem eine diffuse Wechselstimmung. Laut letzten Umfragen könnte zwar eine Mehrheit der Italiener mit der Verfassungsreform leben – will aber dennoch mit einem "Nein" stimmen, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen.
Bedingungslose Unterstützung erfährt die Verfassungsreform vor allem aus Wirtschaftskreisen. Es wird befürchtet, dass bei einem negativen Ausgang des Referendums Italien in eine lange Phase der Rezession und der politischen Instabilität verfällt - inklusive möglichen Forderungen nach einem "Italexit". Die Mailänder Börse befindet sich derzeit im Tiefflug. Die Risikoprämien für italienische Bankanleihen sind in den letzten sechs Monaten um 20 Prozent gestiegen. In der Regel stellen Entwicklungen dieser Art ein deutliches Indiz für eine heraufziehende Krise dar.
Offenbar drohen auch einige Finanzhäuser damit, bei einem "Nein" die Rettungsprogramme für angeschlagene italienische Banken zu stoppen. Es geht dabei um faule Kredite in einem Gesamtvolumen von insgesamt 360 Milliarden Euro. Besonders die schwer angeschlagene Bank Monte dei Paschi di Siena droht bei einem Kollaps einen Domino-Effekt bei anderen Geldhäusern auszulösen.
Übrigens stammt die Senatsreform nicht nur aus Renzis Feder. Sie wurde zusammen mit niemand Geringerem als Silvio Berlusconi entworfen. Renzis Vorgänger Enrico Letta brachte sie ins Parlament ein. Sollte das Referendum scheitern, könnte es nun das Ende von Renzis politischer Karriere besiegeln.