RT-Interview mit al-Nusra-Mitglied nach Niederlage in Aleppo: "Die Türkei hat uns im Stich gelassen"

Autorius: RT deutsch Šaltinis: https://deutsch.rt.com/der-nah... 2016-11-29 03:33:21, skaitė 775, komentavo 0

RT-Interview mit al-Nusra-Mitglied nach Niederlage in Aleppo: "Die Türkei hat uns im Stich gelassen"

RT-Interview mit al-Nusra-Mitglied nach Niederlage in Aleppo:

Bei einer Überraschungsoffensive am Wochenende haben syrische Regierungstruppen rund vier Zehntel des Osten Aleppos befreit. RT Deutsch sprach über die Entwicklungen mit einem Kämpfer von Dschabhat Fatah el-Scham, ehemals Al-Nusra-Front.

von Ali Özkök

Syrische Rebellen, mehrheitlich dschihadistisch geprägt, haben die Kontrolle über den Norden des von ihnen gehaltenen Ostens der Stadt Aleppo verloren. Das teilte die oppositionsnahe Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) am Montag mit. Unterdessen bestätigte das russische Verteidigungsministerium, dass die syrische Armee gemeinsam mit Schiiten-Milizen 40 Prozent des von Rebellen kontrollierten Gebiets in Aleppo eingenommen habe.

Die Armee rückte namentlich in die Bezirke Sachur, Haydariye und Scheich Chudr ein, während Kämpfer der kurdischen YPG den Bezirk Scheich Faris an sich bringen konnten, in welchem sich auch die Turkmenen-Viertel Bostan el-Pascha und Holluk befinden.

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Laut Informationen des türkischen Sputnik-Korrespondenten in Syrien, Hikmet Durgun, startete die syrische Armee mit russischer Luftunterstützung und 20.000 Kämpfern auf dem Boden eine Überraschungsoffensive unter dem Namen "Mutter aller Schlachten" auf das Rebellengebiet. Die kurdischen Kräfte der YPG, die in Nordostsyrien mit den USA kooperieren, schlossen sich den al-Assad-Truppen an.

Die Rebellen haben alle Nachbarschaften im Norden von Ost-Aleppo verloren. Das ist die größte Niederlage seit der Einnahme der Stadt 2012", sagte der Vorsitzende der in London ansässigen Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman.

Im Gespräch mit RT Deutsch zeigte sich ein Vertreter von Dschabhat Fatih el-Scham über die Entwicklungen in Ost-Aleppo bestürzt. Das Mitglied der dschihadistischen Organisation, das sich unter dem Namen Selman Rumi vorstellte und aus der Türkei stammt, offenbarte exklusive Einsichten über die aktuelle Lage im Rebellen-Gebiet:

Gegenwärtig finden sich in Ost-Aleppo 600 Kämpfer von uns wieder. FSA-nahe Einheiten belaufen sich auf 8.000 Personen. Der Aufstand hält an, aber die Kämpfer werden stark aus der Luft bombardiert. Außerdem gehen den Kämpfern Lebensmittel und Benzin aus.

Selman Rumi, der laut eigenen Angaben im Großraum von Aleppo und rund 35 Kilometer von Idlib entfernt wohnt, kritisierte die mangelnde Kooperation von Einheiten der Freien Syrischen Armee mit der ehemaligen al-Nusra-Front:

Wir haben schon mal gut miteinander zusammengearbeitet, um die Belagerung zu durchbrechen. Die FSA hat aber aus absurden Gründen beschlossen, ihre Truppen von der Front abzuziehen und uns alleine zu lassen. Die in Idlib ansässige Ahrar-el-Scham-Organisation tat es der FSA gleich. Deshalb haben wir die Stellungen im Siedlungskomplex 1070 und el-Hikmah im Südwesten von Aleppo-Stadt verloren.

Die veränderten Umstände lassen ihn alles andere als frohgemut in die Zukunft blicken. "Ohne eine Koordination zwischen Rebellen und uns wird die Front zusammenbrechen", gab Selman Rumi zu bedenken. In diesem Zusammenhang glaubt er, dass die von der Türkei initiierte Operation "Schutzschild des Euphrats" in Nordsyrien die Rebellen in Aleppo schwächte. Er anerkannte zwar, dass die Türkei "eine wichtige Rolle für die gesamte syrische Opposition" spielte, warf Ankara nun jedoch vor, "das Volk in Aleppo im Stich gelassen" zu haben.

Seiner Meinung nach haben die Türkei und Russland "ein Abkommen über Aleppo geschlossen". Die Türkei habe es geschafft, "alle Aufmerksamkeit von der humanitären Katastrophe in Aleppo auf die Operation im Norden zu lenken". Dabei würde "Schutzschild des Euphrats" alleine dem strategischen Interesse der Türkei dienen, ein YPG/PKK-dominiertes Kurdistan an der türkischen Grenze zu verhindern.

Yassir Yussef, ein Vertreter der Nureddin-Zengi-Rebellengruppe, übte sich hingegen in Durchhalteparolen und betrachtete es sogar indirekt als Erfolg, dass der Vormarsch der Regierung ein Ergebnis der starken Unterstützung Russlands und Irans gewesen sei. "In den vergangenen Jahren leisteten wir Widerstand mit primitiven Mitteln. Heute geht es gegen Iran und Russland", beschrieb er.

Der türkische Syrien-Korrespondent der regierungsnahen Tageszeitung Yeni Safak, Cihat Arpacik, der mehrmals Rebellengebiete besucht hatte, ist weniger enthusiastusch. Er stellte fest, dass ein Aufbäumen von Rebellen und oppositionellen Dschihadisten in Aleppo in weiter Ferne liege. Die Rebellen scheinen im Osten der ehemaligen Metropole vor dem Ende ihres "Widerstandes" zu stehen.

Sowas wie in Aleppo habe ich noch nicht gesehen. Das ist für die Rebellen noch nicht einmal mit den Geschehnissen im Balkankrieg zu vergleichen, als Sarajevo belagert wurde", sagte Arpacik gegenüber RT Deutsch.

Der Chefredakteur des arabischen Nachrichtenportals Al-Masdar, Leith Fadel, gab RT Deutsch gegenüber unter Berufung auf direkte Kontakte in der syrischen Armee eigene Eindrücke über die jüngst eingenommenen Gebiete wieder. Al-Masdar gilt als Sprachrohr des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Fadel sagte:

Die Geschwindigkeit, mit der die östlichen Viertel von Aleppo fielen, ist frappierend. Keiner von uns hat das erwartet, auch die syrische Armee nicht. Es scheint, als ob der zunehmende Mangel an Truppenstärke im Osten der Stadt den Rebellen deutlich schadete.

Mit Blick auf die in den westlichen Medien oft betonte humanitäre Notlage in Ost-Aleppo behauptete der Chefredakteur mit engen Beziehungen zur syrischen Armee:

Eine andere Erkenntnis ist, dass das Meiste, was wir von Ost-Aleppo dachten und was in den Medien gesagt wurde, wirklich ein Trugschluss war. Die Soldaten hätten erwartet, dass sich mutmaßlich hunderttausende Menschen in Ost-Aleppo aufhalten. Es stellt sich allerdings heraus, dass manch ein Viertel geradezu menschenleer ist.

Nichtsdestotrotz sind am Wochenende über 3.000 Zivilisten, die Hälfte davon Kinder, aus den östlichen Teilen der Stadt geflohen, teilte das Russische Zentrum für Aussöhnung in einer Stellungnahme mit. Sie seien über "humanitäre Korridore" ausgerückt, heißt es.

Der türkische Journalist Cihat Arpacik bemerkte abschließend im Gespräch mit RT Deutsch, dass die Rebellen außerhalb von Aleppo-Stadt die Hoffnung doch nicht ganz aufgegeben hätten. Rebellen-Quellen zitierend sagte er:

Es gibt außerhalb der Stadt Vorbereitungen auf eine Offensive zur Durchbrechung der Belagerung. Dabei ist aber immer die konventionelle Oberhand im Krieg zu berücksichtigen, die derzeit aufseiten von al-Assad liegt. Deshalb könnten die Rebellen zum nicht-konventionellen Krieg umsatteln.

Auf Nachfrage, welche Möglichkeiten Rebellen nach dem Verlust weiter Bereiche Aleppos überhaupt noch haben, erklärte der Nahost-Analyst, Tallha Abdulrazaq:

Obwohl der Krieg in Syrien nicht vorbei ist, haben die Rebellen limitierte Optionen, solange sie nicht auf internationale Unterstützung setzen können. Die internationale Gemeinschaft konzentriert sich zusammen mit Russland hauptsächlich darauf, dass im Krieg keine Chemiewaffen eingesetzt werden. Immer mehr stellt sich der Westen in Syrien auf die Positionen Russlands und al-Assads, was vielleicht nicht die ultimative Lösung ist.

Praktisch könnte es dazu kommen, dass die Rebellen unter diesen Umständen Versuche abbrechen, Territorien zu halten. Abdulrazaq glaubt wie Arpacik, dass die Rebellen eine flexiblere Kriegsform nach "alter Schule" wählen werden - im Wesentlichen durch gezielte Terroranschläge, etwa auf Versorgungseinrichtungen:

Auch wenn ganz Aleppo verlorengeht, bedeutet das nicht, dass die Rebellen am Ende sind. Die Kämpfer könnten sich dazu entscheiden, ihren Widerstand umzustrukturieren. Mittels eines Guerilla-Kriegs könnte man al-Assad auf dem Land stören. Dabei könnte die Infrastruktur, von der größere Städte unter Regierungskontrolle abhängen, in Angriff genommen werden. Das ist einfacher, als Städte halten und verwalten zu wollen. Das würde eine Regierung der Städte unmöglich machen beziehungsweise verkomplizieren.