China gegen USA: Wo bleiben Europa und Russland? – Top-Sinologe klärt auf

Autorius: Nikolaj Jolkin Šaltinis: https://de.sputniknews.com/aus... 2020-09-12 14:59:00, skaitė 796, komentavo 0

China gegen USA: Wo bleiben Europa und Russland? – Top-Sinologe klärt auf

Während der Online-Präsentation des Buchs des namhaften russischen Sinologen Juri Tawrowski „Amerika gegen China. Das Reich der Mitte konzentriert sich vor dem Hintergrund der Pandemie“ beantwortete er die Sputnik-Frage, ob China bei seiner Konfrontation mit Amerika mit der Unterstützung Deutschlands bzw. ganz Europas rechnen kann.

Europa werde die Volksrepublik nicht unterstützen, wenngleich es am Ausbau seiner Beziehungen zu China sehr interessiert sei, lautete die Antwort. „Gegenwärtig befreit sich Europa von dem Zaum, in dem es von den Amerikanern während all der Nachkriegsjahre gehalten wurde. In seinem Verhältnis zu China leistet es sich manchmal sogar einigen Handlungsspielraum. Europa zeigt, dass es seine eigene Position vertritt. Einige Länder haben einen Rückzieher gemacht, indem sie die chinesische 5G-Technologie ablehnten. Andere dagegen bestehen auf ihrem Recht, mit China zu handeln.“

In diesen Post-Covid-Monaten habe der Warenstrom von China nach Europa rapide zugenommen, so Tawrowski. „Auch hat die Eisenbahnlinie, die durch Russland verläuft, die Anzahl seiner Züge und Container um die Hälfte vergrößert. Waren kommen auch von Europa nach China. Die Meinung, bei China handle es sich nur um Exporte, ist falsch. China sorgt auch für Importe. Gegenwärtig gibt es in China sehr viele Reiche. Zum Mittelstand gehören 400 Millionen Menschen. Diese möchten einen Ferrari fahren, Damenhüte aus Pariser Boutiquen tragen und Schokolade von den besten italienischen Produzenten essen.“

Zurzeit entwickle sich China von der Weltwerkstatt, also dem Hauptexporteur, zum Hauptimporteur, merkt der Sinologe an. „In diesem Jahr soll die Importmesse in China zum dritten Mal stattfinden. Und während jetzt alle Welt nach Absatzmöglichkeiten sucht, möchten die Chinesen viel kaufen. Sie besitzen eine Menge Geld. Es sind die Leute, die durch die sauberen Straßen der chinesischen Städte ziehen, und zwar nicht nur in Beijing, Schanghai oder Guangzhou, sondern auch in Provinzstädten mit einer Bevölkerung von anderthalb bis zwei Millionen Einwohnern. Diese sind ebenfalls gepflegt. Ihre Läden strotzen vor Waren. Deshalb kann Europa aus China viel Geld herausholen.“

Ein riesiger Teil der Einnahmen Europas stamme von chinesischen Touristen, fügt Tawrowski hinzu. „Deshalb wünscht sich Europa sehr eine Freundschaft mit China. Es ist eine Art Prüfstein für die Unabhängigkeit des einen oder anderen Landes. Unterstützt man China, dann ist man einigermaßen unabhängig. Es gibt aber kleinere Länder, zu hundert Prozent von Amerika abhängig, diese sind es, die China anbellen und Sanktionen verhängen. Im Großen und Ganzen gesehen, braucht Europa China und umgekehrt.“

Russland und China - strategische Partner der neuen Epoche

Was Russland betreffe, „werden sich seine Beziehungen zu China im Rahmen einer ,strategischen Partnerschaft der neuen Epoche‘ entwickeln“, ist sich der Buch-Autor sicher. „Unter dem Einfluss des an Fahrt gewinnenden Kalten Krieges, den Amerika gegen China führt, wird Letzteres Russland immer freundlicher behandeln. Allerdings gibt es innerhalb der chinesischen Eliten nicht nur proamerikanische, sondern auch antirussische Stimmungen. Ferner gibt es gewisse Mächte, die die Erinnerung an die Vorgeschichte der russisch-chinesischen Beziehungen aufzufrischen suchen, an eine Zeit, in der die Chinesen glaubten, größere Teile des chinesischen Territoriums wären infolge von ungleichen Verträgen unter russische Kontrolle geraten. Wir sehen das anders. In diesem Buch lege ich die Beweisführung russischer Historiker dar.“

Tawrowski sagt auch, dass allen das Ende der chinesisch-sowjetischen Freundschaft gut erinnerlich sei, „als wir unsere Berater von heute auf morgen abberufen haben, ebenso wie der Grenzkonflikt um die Damanski-Insel, der beinahe einen großen Krieg ausgelöst hätte, und den ganzen Kalten Krieg, der all die 60er, 70er und bis in die 80er Jahre hinein gedauert hat.“

Der China-Experte erinnert sich: „Als man Putin unumwunden nach der russischen Einstellung zur Konfrontation zwischen China und Amerika fragte, erwiderte er, die Chinesen hätten ein Sprichwort von dem weisen Affen, der auf einem Berg sitzend zusieht, wie sich die Tiger im Tal raufen. In Wirklichkeit haben wir Verständnis für die Chinesen, da wir unter demselben Kalten Krieg leiden. Zwar haben wir uns daran bereits gewöhnt und machen uns nicht viel aus den Sanktionen. So eingekreist leben wir seit 2017. Die Chinesen haben sich dagegen entspannt. Das Ergebnis war ihre Trennung von Amerika, wobei viel Porzellan zerschlagen wurde.“

Tawrowski äußerte auch: „Unsere Beziehungen werden sich stabil entwickeln, und dies wird zu einer tiefen Kooperation im politischen und militärischen Bereich führen. Auch die Wirtschaftszusammenarbeit wird ausgebaut werden, obwohl es noch viele Probleme gibt. Vor allem sind unsere Finanzsysteme einander nicht angepasst. Darum ist es für ein russisches Unternehmen ein großes Problem, Geld nach China zu überweisen und umgekehrt. Auch wird die Infrastruktur an Bedeutung zunehmen. Beispielsweise wird diese von den Amerikanern nicht kontrollierte Eisenbahn durch Russland für Chinas Zugang zu Europa sehr wichtig sein.“

Die Bedeutung der russischen Landwirtschaft für China wachse, so der Sinologe weiter. „Die USA drohen, ihre Lieferungen von Sojabohnen als Schweinefutter nach China einzustellen, wobei die Chinesen Schweinefleisch sehr gern essen. Sie sind inzwischen so reich geworden, dass sie sich, statt wie früher einmal im Jahr, täglich Fleisch leisten können. Gegenwärtig läuft sogar eine Kampagne gegen Speisereste auf dem Tisch, weil die Chinesen inzwischen mehr in Restaurants essen und zu viele Reste liegen lassen. Auch die Zahl der chinesischen Studenten in Russland wird stark zunehmen, weil die Amerikaner sie von ihren Hochschulen vertreiben, in der Meinung, das wären ,alles Spione‘. Dabei möchten Chinesen im Ausland studieren, weil dies einem Prestige verleiht. Allein die Moskauer Lomonossow-Universität zählt 9.000 chinesische Studenten. Und das ist erst der Beginn.“

Tawrowski glaubt jedoch nicht, Russland würde mit China ein Militärbündnis eingehen, wenn man dies ins Gespräch gebracht habe. „Man redet von der Rückkehr in die Zeiten des Vertrages von 1950, als wir Bündnispartner waren. Für November wird ein Treffen zwischen Putin und dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping erwogen, dann werden sie vieles zu erörtern haben.“

Vor Amerika haben die Chinesen keine Angst

Vor Amerika haben die Chinesen keine Angst, wünschen sich aber keine Konfrontation. In einer chinesischen Zeitung hat der Sinologe Folgendes gelesen: „Amerika fordert uns zum ersten Schuss heraus. Da können sie lange warten. Der erste Schuss wird nicht von uns kommen“. Aber die Lage sei tatsächlich hart, äußert Tawrowski. „Die Chinesen halten die drei Monate bis zu den US-Präsidentschaftswahlen für hochbrisant. Es kann alles Mögliche passieren im Hinblick auf die Heftigkeit der amerikanischen Politiker, während die amerikanischen Militärs sich gelassen verhalten, weil die chinesische Verteidigung jetzt durchaus mächtig ist.“

„Nämlich haben die Chinesen acht von den neuesten zehn strategischen Militärspielen gewonnen“, argumentiert der China-Experte. „Also fürchtet sich China nicht, das Land konzentriert sich. Bei Trumps Machtantritt war China nicht auf eine harte Konfrontation mit Amerika eingestellt, bei der es, wie sie selbst sagen, spitz auf spitz gehen würde. Nun suchen sie, strategisch Zeit zu gewinnen. Im Moment sind sie dabei, ihre schwachen Stellen schleunigst zu beseitigen. Insbesondere betrifft dies die Hochtechnologien. Die Chinesen haben in den USA integrierte Schaltkreise gekauft, und die Amerikaner sind jederzeit bereit, diese Lieferungen zu blockieren. In China wurden für die Herstellung dieser Schaltkreise kolossale Summen bereitgestellt. Man testet Ersatzlösungen und hält den Ball flach.“

Seit fünf Jahrzehnten erforscht, bereist und beschreibt Tawrowski ostasiatische Länder und schildert in seinem Buch die Art und Weise, wie die Führung der Volksrepublik China globale Herausforderungen meistert, was der „chinesische Traum“ und die „Wiedergeburt der chinesischen Nation“ sind sowie wo die Auseinandersetzung zwischen den USA und China hinführen wird.