In Massen billig: Tönnies und die Schweinereien des Kapitalismus

Autorius: Von Marcel Joppa Šaltinis: https://de.sputniknews.com/kom... 2020-06-26 15:33:00, skaitė 718, komentavo 0

In Massen billig: Tönnies und die Schweinereien des Kapitalismus

Der Corona-Skandal rund um die Firma Tönnies ist ein Paradebeispiel, was in diesem Land falsch läuft: Über Jahrzehnte bereichert sich ein Konzern auf Kosten von Mensch und Tier. Die Politik schaut weg und erhält willkommene Parteispenden. Den meisten Konsumenten scheint es egal, Hauptsache der Preis stimmt. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Das Familienunternehmen Tönnies wurde 1971 nahe Gütersloh gegründet, mittlerweile macht der Konzern pro Jahr über sechs Milliarden Euro Umsatz. Er ist Deutschlands größter Schlachtbetrieb für Schweine und auch Rinder werden in dem Unternehmen in Massen verarbeitet. Vor den jüngsten Corona-Fällen und dem damit verbundenen Lockdown wurde bei Tönnies im Schnitt alle drei Sekunden ein Schwein geschlachtet – bis zu 30.000 Schweine pro Tag, auch am Wochenende. Das Unternehmen liefert Frisch- und Tiefkühlfleisch an dutzende Firmen. Darunter prominente Namen, wie „Aldi“, „Lidl“, „Gutfried“, „Zimbo“, „Schulte“ oder „Tillman’s“.

Sparen, sparen, sparen…

Zwar vertilgen die Deutschen in etwa 34 Kilo Schweinefleisch jährlich pro Kopf, viel dafür bezahlen wollen sie aber zumeist nicht. Das hat zur Folge, dass ein Bauer pro Kilo Schwein aktuell nur rund 1,70 Euro erhält. Das ist so wenig, dass er mit der Aufzucht eines kompletten Tieres weniger als zehn Euro verdienen kann. Eine konventionelle Schweinezucht lohnt sich also nur mit einer enorm hohen Anzahl an Tieren, billigem Mastfutter und Massentierhaltung. Es wird gespart, wo es nur geht, auch bei der Bezahlung des Personals. Es ist die hässliche Fratze des Kapitalismus – zumindest eine davon.

​Ausgerechnet bei diesem Thema positionieren sich die großen Parteien auf Seiten des passionierten Billigschnitzel-Essers. Denn anstatt Billiglohn, Subsubunternehmen durch Werkverträge, prekäre Unterbringungen von Mitarbeitens und nicht zuletzt auch die unwürdige Haltung der Tiere zu unterbinden, duckt sich vor allem die regierende CDU seit vielen Jahren weg. Das mag aber nicht nur daran liegen, dass man durch steigende Fleisch-Preise keinen Volksaufstand riskieren will, oder als Ausgleich gar Mindestlohn und Grundsicherung erhöhen müsste. Auch die ein oder andere Parteispende von Tönnies an die Merkel-Partei dürfte Einfluss gehabt haben.

Eine Hand wäscht die andere?

Im Rechenschaftsbericht der Parteien ist verzeichnet, dass der Tönnies-Konzern, sowie auch Firmenchef Clemens Tönnies privat zwischen 2002 und 2017 neun Einzelspenden in Richtung CDU gesteuert haben. Die Höhe der angegebenen Spendengelder variierte zwischen pro Jahr zwischen 11.900 und 32.500 Euro – Dabei sei allerdings erwähnt, dass nur Parteispenden ab 10.000 Euro überhaupt öffentlich angegeben werden müssen. Alles darunter verschwindet vom Radar.

Ein falsches Wort: Kündigung

Arbeiter leben dann zu viert, fünft oder sechst in einem Raum, stehen zehn, zwölf Stunden am Tag an den Fließbändern. Sie leben in ständiger Angst vor den Subunternehmern. Diese sind nicht nur ihre Chefs an den Schlachthöfen, sondern meist gleichzeitig Vermieter der Billigunterkünfte. Dass es in Deutschland einen Kündigungs-, einen Mutterschutz und weitere Absicherungen gibt, kümmerte sie nicht, diese Rechte gelten für sie ohnehin nicht. Gesetz ist, was der Vorarbeiter sagt.

Das führte übrigens auch dazu, dass nach dem Corona-Ausbruch bei Tönnies nicht bekannt war, wer überhaupt in dem Werk beschäftigt war. Auf Nachfrage konnte der vom Landrat eingerichtete Krisenstab keine Personalakten erhalten, da diese bei Subsubunternehmen im Ausland lagerten. Es dauerte mehrere Tage, bis überhaupt erst klar war, wer für Tönnies arbeitet und damit potentiell Überträger des Virus ist.

Das wertlose Versprechen…

Wie gesagt, all das ist nicht nur bekannt, sondern wurde bislang auch politisch geduldet. Bereits 2015 hatte Konzernchef Clemens Tönnies in einer Pressekonferenz eigentlich versprochen:

„Wenn ich einen Schwachpunkt habe, gehe ich da dran."

Das sagte er allerdings nur, weil an diesem Tag der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu Gast auf dem Werksgelände war. Clemens Tönnies, der größte aller Schlachtermeister, empfing den Minister mit breitem Aufgebot vor seinem Werk in Rheda-Wiedenbrück. Der damalige SPD-Vorsitzende gab allerdings einige Tage später auf Nachfrage eines „Zeit“-Journalisten zu:

„Ich schäme mich für diese Zustände."

Getan hat sich an den Zuständen bis heute aber nicht das Geringste. Zwar wurde noch im Jahr 2015 eine Selbstverpflichtung für Schlachtbetriebe ins Leben gerufen, bei dem sich die Unterzeichner unter anderem für Arbeitnehmerrechte einsetzen wollten und auch Tönnies unterzeichnete mit fünf anderen Unternehmen dieses Dokument. Das Ganze entpuppte sich jedoch als Luftnummer.

Das große Geschäft

Dabei ist Tönnies nur ein Teil des Problems. Rund 55 Millionen Schweine werden pro Jahr in Deutschland geschlachtet. Auch Westfleisch, Wiesenhof oder die Werke von Südfleisch gelten in personeller Hinsicht als Ausbeuterbetriebe. Zwar beschäftigt zum Beispiel Tönnies auch einige wenige Mitarbeiter direkt inklusive Sozialversicherung, die überwältigende Mehrheit der rund 9000 Arbeiter stammt jedoch aus dem Ausland. Der Mehrwert für den deutschen Arbeitsmarkt ist durch die Fleischindustrie also äußerst überschaubar.

​Um ein positives Beispiel bei Großschlachtereien zu finden, muss man schon lange suchen. Hier hilft ein Blick nach Dänemark. Unser nördlicher Nachbar gehört zu den größten Schweinefleischproduzenten Europas. Trotz Vergleichbarkeit der Branche und auch des Corona-Lockdowns, ist es auf dänischen Schweinefleischschlachthöfen zu keinen dramatischen Corona-Ausbrüchen gekommen. Die Fleischindustrie in Dänemark ist sozial ausgewogener, die Stundenlöhne von 25 Euro gehören zu den höchsten in Europa. Gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“ erklärte der Vizechef der dänischen Gewerkschaft NNF, Jim Jensen:

„Wir haben Tarifverträge in der gesamten Schweinefleischindustrie, an der sich fast 100 Prozent der Firmen orientieren.“

Schwarzarbeit, Werkverträge und Subunternehmen aus Osteuropa gebe es in Dänemark so gut wie nicht, so Jensen. Alle Mitarbeiter hätten einen Tarifvertrag und eine maximale tägliche Arbeitszeit von 7,5 Stunden. Etwa 70 Prozent der Beschäftigten seien Einheimische.

Düstere Aussichten…

Davon ist Deutschland weit entfernt. Zwar hat Clemens Tönnies nun angekündigt – diesmal aber wirklich – Werkverträge künftig abzuschaffen und Personal nur noch direkt anzustellen, inklusive Absicherung und Mindestlohn. Doch wie heißt es so schön: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Sollte es aber tatsächlich einen vermehrten Druck der Öffentlichkeit geben und sollte die Politik darauf dann anspringen, könnte es auch für Tönnies und die Fleischindustrie eng werden. Die Konsequenz, soviel ist sicher, wären durch die erhöhten Kosten der Fleischkonzerne dann wohl erhöhte Supermarktpreise für Schlachterzeugnisse. Um das im Corona-geplagten Geldbeutel der Konsumenten auszugleichen, wäre dann wieder die Politik gefragt. Einmal mehr. Diesmal aber hoffentlich mit Erfolg.