Prozessauftakt: Darum nimmt der Lübcke-Mörder einen Deutsch-Türken zum Anwalt

Autorius: Marcel Dettmer Šaltinis: https://www.compact-online.de/... 2020-06-20 13:24:00, skaitė 742, komentavo 0

Prozessauftakt: Darum nimmt der Lübcke-Mörder einen Deutsch-Türken zum Anwalt

Gut ein Jahr nach dem Mord an Walter Lübcke hat am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter Stephan E. begonnen. Für Überraschungen sorgte dabei auch sein neuer Anwalt: Der Deutsch-Türke Mustafa Kaplan ist vor allem als Vertreter von NSU-Opfern bekannt. Außerdem hat er den türkischen Präsidenten Erdogan im Streit gegen Jan Böhmermann wegen des sogenannten „Schmäh-Gedichtes“ vertreten. Kann der NSU-Anwalt erhellen, welche Rolle Verfassungsschutz und Tiefer Staat womöglich spielten? 

Stephan E. steht im dringenden Tatverdacht, den Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke im Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses mit einem Kopfschuss getötet zu haben. Der Fall sorgt seither für großes Aufsehen: Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein mutmaßlicher „Rechtsterrorist“ wegen Mordes auf der Anklagebank sitzt. E. hatte die Tat zunächst gestanden, das Geständnis dann aber widerrufen. Am ersten Verhandlungstag stützte sich die Anklage dennoch auf die von der Aussage gefertigten Videoaufzeichnungen, die auch COMPACT sichten durfte. Inzwischen beschuldigt Stefan E. anders als in seiner früheren Einlassung den als Mittäter angeklagten Markus H. Eigentlich sei nur geplant gewesen, Lübke gemeinsam eine „Abreibung“ zu verpassen – dann aber habe H. das Opfer plötzlich im Streit erschossen. Als Tatmotiv gelten Lübckes kontroverse Aussagen auf dem Höhepunkt der Asyl-Krise 2015.

Nun hat der mutmaßliche Killer sich mit Mustafa Kaplan ausgerechnet einen türkisch-stämmigen Anwalt ins Boot geholt. Ein kluger Schachzug, der vermutlich auf den Erstverteidiger Frank Hannig zurückgehen dürfte: Der Dresdner ist als „Pegida-Anwalt“ bekannt. Kaplan werde „als Strafverteidiger mit erheblichen Erfahrungen auch in Großverfahren die rechtsstaatlich erforderliche Verteidigung gemeinsam mit dem bisherigen Pflichtverteidiger garantieren“, heißt es in einer Pressemitteilung Hannigs.

Das Hinzuziehen des Kölners überrascht nicht nur wegen dessen Herkunft, sondern auch, weil Kaplan die Opfer des mutmaßlich vom NSU-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe verübten Nagelbombenanschlags in Köln aus dem Jahr 2004 vertritt. Immer wieder war die rätselhafte Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ mit der Erschießung Lübckes in Verbindung gebracht worden, auch wegen möglicher Verstrickungen des Verfassungsschutzes.

So spielte der damalige V-Mann-Führer Andreas Temme nicht nur beim NSU-Mord an Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé eine dubiose Rolle: Temme war an jenem 6. April 2006 am Tatort gewesen, verschwieg das aber zunächst der Polizei. Im Verhör behauptete er dann, er habe – womöglich während das Opfer im durch eine offene Tür verbundenen Nebenraum erschossen wurde – auf einem Erotik-Portal geflirtet. Der Ex-Geheimdienstler will weder die Schüsse noch das sterbende Opfer wahrgenommen haben. Der Verdacht gegen Temme schien sich weiter zu erhärten, als sich herausstellte, dass er auch mit weiteren NSU-Bluttaten in Verbindung stehen könnte. „Nach Bild-Informationen ergab ein Bewegungsprofil der Polizei: Der Agent war bei sechs der neun Morde in der Nähe des Tatortes“, meldete das Blatt Mitte November 2011.

Nach dem Lübcke-Mord stellte sich heraus: Temme hatte zuletzt für den Kasseler Regierungspräsidenten gearbeitet. Und, noch auffälliger: Mindestens einer seiner früheren V-Männer (Deckname: „Gemüse“) kam aus dem engeren Umfeld der heute Angeklagten Stephan E. und Markus H. Der Ex-Spitzel erklärte gegenüber COMPACT, er sei sich sicher, nicht der einzige V-Mann der Gruppe gewesen zu sein – was die Frage aufwirft, welche Rolle der Verfassungsschutz womöglich auch mit Blick auf den oder die mutmaßlichen Täter gespielt haben könnte. Fest steht bereits: Der Ex-Verfassungsschützer Temme, der im Mordfall Yozgat zwischenzeitlich sogar als Tatverdächtiger gegolten hatte, war „dienstlich“ mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan Ernst „befasst“, wie Innenminister Peter Beuth im Oktober vergangen Jahres im Innenausschuss des Hessischen Landtages einräumen musste…

Dafür, solchen Fragen nachzugehen, scheint Mustafa Kaplan genau der richtige Mann zu sein. Mit dem Kölner hat sich ein Verteidiger in den Fall Lübcke eingeschaltet, der mit der NSU-Materie bestens vertraut ist, als harter Hund gilt und einen gutes Gespür für etwaige Parallelen und Unstimmigkeiten hat. Über seine Motivation sagte der Deutsch-Türke, dessen Vater Gastarbeiter war, dem Kölner Express: „Mich reizt der hochspannende Fall.“ Moralische Erwägungen hätten bei seiner Entscheidung, das Mandat anzunehmen, hingegen keine Rolle gespielt. Jeder habe das Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren. Man darf gespannt sein, ob der Frankfurter Prozess Licht ins Dunkel bringt, welche Rolle der Verfassungsschutz womöglich im Mordfall Lübcke spielte. Mehr über die Machenschaften der Geheimdienste erfahren Sie in COMPACT Spezial 24 „Tiefer Staat“ – am besten direkt hier bestellen (Klick auf den Link).