Autorius: Online-Autor Šaltinis: https://www.compact-online.de/... 2020-06-13 10:39:00, skaitė 1746, komentavo 0
Vorgestern bestätigte ein Sprecher des Pay-TV-Senders HBO, dass „Vom Wende verweht“ aus dem Streaming-Angebot entfernt wurde. Der Film verzerre mit seiner Darstellung „glücklicher Sklaven“ die historische Realität. Man werde den Klassiker jedoch zu einem späteren Zeitpunkt wieder freigeben, angereichert mit Aufklärung über die realen Verhältnisse auf den Baumwollplantagen.
Ob das nötig ist? Schließlich klären populäre TV-Serien wie „Roots“ (1977) oder Spielfilme wie Quentin Tarantinos „Django Unchained“ (2012) oder „12 years a Slave“ (2013) schon seit Jahrzehnten über die schreckliche Plantagen-Realität auf. Das Gros des Publikums dürfte diese Zeit kaum mehr idealisieren. Tatsächlich reagierten die Zuschauer keineswegs nach Wunsch der HBO-Oberlehrer. Gestern, also einen Tag nach Verkündung der temporären Sperrung, avancierte „Vom Winde verweht“ bei Amazon zum Bestseller.
Aber ist die Skandalisierung des Film überhaupt berechtigt? Mehr noch: leistete der Filmklassiker nicht sogar einen wichtigen Beitrag zur Etablierung farbiger Künstler im Filmgeschäft? Bot ihnen nicht einen frühen Ausgang aus dem medialen Ghetto? Fragen, die im aktuellen Mediendiskurs keine Beachtung finden.
Schon seit vielen Jahren steht Margaret Mitchells Romanvorlage „Gone withe the Wind“ (1936) wie Mark Twains Tom Sawyer, Huckleberry Finn im Kreuzfeuer der Political Correctness, weil sie den neuesten (Sprach-) Anforderungen nicht genüge. Dass Maßstäbe der Gegenwart auf Produkte vergangener Epochen nicht anzuwenden sind, stört die Hypermoralisten nicht.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die Verfilmung des Bestsellers unter Beschuss geriete. Vor drei Jahren ging es los: Das Filmtheater Orpheum in Memphis, Tennessee, hat jetzt entschieden, den Klassiker nicht länger aufzuführen. Die Mission des Hauses, das Publikum mit seinem Programm zu „unterhalten, zu bilden und aufzuklären“, sei inkompatibel mit einem Film, der „die Überlegenheit der Weißen“ behauptete (“tributes to white supremacy”).
Brett Batterson, Präsident der Orpheum Theatre Group bezeichnet weitere Vorführungen als „unsensibel gegenüber einem großen Teil der hiesigen Bevölkerung“ – 64 Prozent der ansässigen Bevölkerung sind Farbige –, obwohl der Film bis jetzt ganze 34 Jahre lang im Orpheum gespielt wurde. Freilich wurde die Entscheidung unter dem Einfluss der Charlottesville-Krawalle gefällt. Seitdem werden zahlreiche Denkmäler von Südstaaten-Kämpfern zerstört oder abgerissen. Ebenso ist die aktuelle Sperrung des Films durch HBO wohl auf die Tötung des Farbigen George Floyd durch einen weißen Polizisten zurückzuführen.
Bei früheren Rassismusvorwürfen gegen Margaret Mitchells Romanvorlage durch US-Medien wurde fairerweise erwähnt, dass diese Kritik nicht auf den Film zuträfe. Man anerkannte, dass Produzent David O. Selznik für seine Leinwandadaption alle N-Wörter und sämtliche Verweise auf den Ku-Klux-Klan der Buchvorlage hatte streichen lassen.
Hattie McDaniel (links) in „Vom Winde verweht“, 1939.
Zugegeben: Dass ein Film, der auf den Baumwollplantagen der Südstaaten im 19. Jahrhunderts spielt und 1939 gedreht wurde, nicht dem allerneuesten PC-Codex folgt, dürfte selbstverständlich sein. Dennoch ist seine Darstellung der Südstaatengesellschaft und ihrer Sklavenhaltung keineswegs verherrlichend.
Schon der Vorspann erklärt den Bürgerkrieg aus der Weigerung der Südstaaten, Abraham Lincolns Forderung nach Beendigung der Sklaverei endlich nachzukommen. Auch präsentiert Vom Winde verweht die Plantagenbesitzer als ein Ancien Régime, als verwöhnte, weltfremde, in idiotischen Konventionen gefangene und sich maßlos überschätzende Klasse.
Bald verlieren die Südstaaten-Hipster den Krieg und der Film trauert ihnen keine Sekunde nach. Im Gegenteil: Er fixiert sich auf die Heldin Scarlett O’Hara, die sich im Alleingang aus dem Dreck zieht, ihr Leben selbst in die Hand nimmt. Im Gegensatz zu universitären Jaul- und Jammer-Feministinnen ist Scarlett wirklich emanzipiert. Ein echtes Vorbild für junge Mädchen. (Fortsetzung des Artikels unter dem Werbebanner)
Der einzige Protagonist, der den alten Zeiten der Sklavenplantagen nachtrauert, ist der Fulltime-Loser Ashley Wilkes – wofür Scarlett ihn verachtet. Durch den Kontrast zwischen ihr und Ashley wird deutlich: Wer sich selbst befreit, braucht auch keine Sklaven. Unterdrücker sind Schwächlinge.
Die von Vivien Leigh gespielte Scarlett O’Hara, also die positive Heldin des Films, zeigt gegenüber Farbigen weder Verachtung noch Berührungsängste. Nein, Vom Winde verweht feiert keine „white supremacy“. Wurde Casablanca (1942) wegen langer Dialogszenen zwischen einem Schwarzen (Sam) und einer weißen Frau (Ilsa) seinerzeit als fortschrittlich gewertet, dann gilt das erst recht für Vom Winde verweht.
Butterfly McQueen als Prissy. Screenshot
Das ist noch nicht alles: Der mit acht Oscars und zwei Ehren-Oscars gewürdigte Film wurde zum Karriere-Sprungbrett für zwei schwarze Schauspielerinnen: Der Komikerin Butterfly McQueen gelang mit der Rolle der durchgeknallten Prissy ihr Durchbruch. Noch im hohen Alter erzählte sie bei Retro-Aufführungen dem Publikum von ihren Erfahrungen bei den Dreharbeiten. Zwar stand auch Mrs. McQueen dem Film kritisch gegenüber, aber einen Aufführungsstopp hätte sie kaum befürwortet.
Ebenfalls den Durchbruch mit Vom Winde verweht erlangte Hattie McDaniel. Für ihre Nebenrolle als Scarlett O’Haras Nanny erhielt sie 1939 als erste farbige Darstellerin den Oscar! Wer heute klagt, dass farbige Filmschaffende bei der Oscar-Verleihung unterrepräsentiert seien, sollte ermessen können, was diese Auszeichnung vor 81 Jahren bedeutete. Darüber hinaus erhielt McDaniel einen einen Stern auf dem Broadway Walk of Fame. Vom Winde verweht hat ihr all das ermöglicht. Ironie: vor zwei Tagen, am 10. Juli, feierten Filmfans in sozialen Netzwerken ihren 135. Geburtstag. Genau an diesem Tag verkündete HBO die Sperrung des Films…
Hattie McDaniels (links) erhält den Oscar für ihre Darstellung in „Vom Winde verweht“, 1939
Und noch eine antirassistische Besonderheit des Films: Während der Dreharbeiten beklagten farbige Darsteller über die Separierung ihrer Sanitäranlagen von denen ihrer weißen Kollegen. Im Amerika der 1930er war solche Rassentrennung gängige Praxis, dennoch lenkte Produzent Selznik sofort ein und ließ die Separierung aufheben. Sein Assistent Eric Stacey sagte den farbigen Darstellern: „Bitte, wenn Ihr unbedingt weiße Flöhe haben wollt“. Dieser Vorstoß von Selznik gegen den rassistischen Zeitgeist, 25 Jahre vor Martin Luther King, lässt sich gar nicht hoch genug einschätzen. Kurzum, „Vom Winde verweht“ ist nicht nur ein Meilenstein der Filmgeschichte, sondern ebenso einer für die Etablierung farbiger Künstler in den USA.