Das Ostbündnis: Im Ernstfall hätte die Nato vier Tage durchgehalten

Autorius: Andrej Koz Šaltinis: https://de.sputniknews.com/kom... 2020-05-15 08:09:00, skaitė 1111, komentavo 0

Das Ostbündnis: Im Ernstfall hätte die Nato vier Tage durchgehalten

36 Jahre lang gab es eine Gegenkraft auf dem Planeten, die der US-geführten Nordatlantikallianz Grenzen setzte. Es war ein multinationaler Verbund von 7,5 Millionen Soldaten mit einer Flugzeug-, Panzer- und Schiffsarmada: Am 14. Mai 1955 entstand der Warschauer Pakt.

Das war wohl der größte Unterschied des östlichen Militärbündnisses zur Nato, dass dessen Streitkräfte zusammen wie ein gutgeölter Feinmechanismus funktionierten. Ein Ergebnis vieler gemeinsamer Übungen.

Im September 1981 schickten die sieben Mitgliedsländer – Sowjetunion, Polen, Bulgarien, Tschechoslowakei, Rumänien, Ungarn und die DDRmehr als 100.000 Soldaten und Offiziere in das operativ-strategische Manöver „Zapad-81“. Der Übungsauftrag: die gegnerische Abwehr ohne den Einsatz atomarer Waffen brechen. Entsprechend spielten Panzerverbände die Hauptrolle. Die mussten gemäß Übungslage beim Ausbruch des Dritten Weltkriegs über das Norddeutsche Tiefland und die Fulda-Lücke in den Westen Europas vordringen – unterstützt durch die schwere Artillerie im Rücken.

„Wir trainierten in Masse die Taktik des Feuerschilds“, erinnert sich Oberst Alexej Poljakow, damaliger Kommandeur eines Panzerverbands. „Die schwere Technik rückte im Schutze von Geschossen vor, die in der Luft explodierten und auf diese Weise die für Panzer gefährliche Infanterie sowie leichtgepanzerte Ziele zerstörten. Es knallte so, dass der Lärm selbst durch die Helmsprecher zu hören war. An einigen Abschnitten wirkten bis zu 300 Geschütze auf einen Frontkilometer. Die Panzer folgten diesem Feuerwall im Abstand von nur 200 Metern.“

Bei dem damaligen „Zapad“-Manöver wurde ein Kommandosystem zur Gefechtsführung erprobt, welches dann zur Grundlage für das heutige Gefechtsmanagement wurde. Im Ergebnis nahm die Mobilität der Verbände zu, die Truppen reagierten schneller auf die raschen Änderungen des Kampfumfelds. Auch kam es zum massiven Einsatz von Präzisionswaffen und Heeresfliegerkräften. Ein Höhepunkt war die Landung der kompletten 7. Garde-Luftlandedivision auf einem Übungsplatz nahe Minsk. Die Landeoperation erforderte die simultane Koordinierung dutzender Transportflugzeuge.

Für die Beobachter im Westen war die Übung überwältigend. Ihre Analysen besagten, ohne den Einsatz taktischer Kernwaffen hätte die Nato den am Manöver beteiligten Kräften im Ernstfall allerhöchstens vier Tage lang standgehalten.

Die Nato im Auge behalten

1977 beschlossen die Teilnehmerländer des Warschauer Vertrags, ein System zur kollektiven Datensammlung zu schaffen: Die elektronische und weltraumbasierte Aufklärung des Warschauer Pakts und zusätzlich noch Kubas, Vietnams und der Mongolei wirkten ab 1979 bei der Aufklärung des westlichen Gegnerszusammen. Von da an hatte der Ostblock seine Augen und Ohren praktisch überall in der Welt.

Ein automatisches System scannte den Funkverkehr der Nato-Staaten und übermittelte die gewonnenen Datensätze an zwei Rechenzentren: nach Moskau und in die DDR. Dort wurden die Informationen nach Schlüsselworten durchsucht, die für die Geheimdienste von Bedeutung sein konnten. Es entstand eine imposante Datenbank zu wichtigen Personen der damaligen Zeit: westliche Politiker, Militärführer, Großindustrielle wurden von der kollektiven Nachrichtengewinnung erfasst.

Zugang zum Datenschatz hatten nur ranghohe Mitarbeiter der sozialistischen Geheimdienste. Die Nato erfuhr von dem System erst durch Informationen von Oberst Oleg Gordijewski, Mitarbeiter der 1. Hauptabteilung des KGB. Er war Ende der Siebzigerjahre vom britischen Geheimdienst angeworben worden. Mit der Wiedervereinigung Ost- und Westdeutschlands verlor das kollektive Datenbeschaffungssystem die Hälfte seiner Leistungsfähigkeit: Das Rechenzentrum auf ostdeutschem Boden ging zwangsläufig an die Nato.

Der größte Truppensteller des Warschauer Pakts war die Sowjetunion: Die Führungsposten innerhalb des Bündnisses übernahmen in der Regel sowjetische Funktionäre, die Verkehrssprache war Russisch, das Hauptquartier befand sich selbstverständlich in Moskau. Anfang der Siebziger wurde jedoch die Möglichkeit geprüft, die Zentrale weiter in den Westen, näher an die potenziellen Schlachtfelder heran zu verlegen.

Im Oktober 1972 berichteten westliche Medien, die UdSSR habe damit begonnen, unweit des ukrainischen Lwow eine unterirdische Anlage mitsamt einem Kommunikationssystem zu errichten. Es entstünden Betonbunker, die dem direkten Treffer eines nuklearen Sprengkopfs standhalten könnten. Dort sollten die Führungskräfte des Warschauer Pakts im Ernstfall unterkommen. In der Tat hatten Treffen der sozialistischen Militärkader in Lwow stattgefunden, aber die Idee eines Hauptquartiers in der Ukraine gab man letztlich auf.

Umstrittener Einsatz

Der einzige gemeinsame Kampfeinsatz des Warschauer Pakts war der Einmarsch in die Tschechoslowakei im August-September 1968 zur Niederschlagung des antisozialistischen Aufstands. Die Operation lief unter dem Codenamen „Dunai“ – „Donau“.

„An den Tagen mussten wir sehr eng mit den Verbündeten kooperieren“, erinnert sich Major Pawel Schkunow, ehemaliger Kommandeur eines motorisierten Schützenverbands. „Probleme im Umgang gab es eigentlich keine, weil die meisten Offiziere der Bündnisländer das Russische ausreichend beherrschten. Aber eine Spaltung war damals schon zu spüren. Ich hatte die Gelegenheit mit einem polnischen Hauptmann zu sprechen, der mir durch die Blume vermittelte, dass nicht alle seine Kollegen den Einmarsch in Prag gutheißen, auch wenn sie die Befehle nicht verweigern.“

Bis 1968 waren in der Tschechoslowakei – als einzigem Mitgliedsland des Warschauer Vertrags – keine Sowjettruppen präsent. Nach dem Prager Frühling stationierte die UdSSR dort einen Großverband von 130.000 Artilleristen. Der Vertrag dazu war eines der wichtigsten militärpolitischen Ergebnisse der Operation „Dunai“. Aber der Warschauer Pakt musste auch einen herben Verlust einstecken: Albanien – Mitglied seit 1955 – verließ das Bündnis im Jahr des Prager Aufstands.