Top-Ökonom zu den Corona-Folgen: „Es könnte zu einer Inflation kommen“

Autorius: Armin Siebert Šaltinis: https://de.sputniknews.com/wir... 2020-05-12 17:43:00, skaitė 675, komentavo 0

Top-Ökonom zu den Corona-Folgen: „Es könnte zu einer Inflation kommen“

Experten sind sich einig, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise verheerend sein werden. Der Top-Ökonom Thomas Mayer spricht von der „größten Rezession der Geschichtsschreibung“. Um zehn Prozent soll die Wirtschaft weltweit zurückgeworfen werden. Mayer rechnet mit einem wackelnden Euro und Inflation. Aber es wird auch Gewinner geben.

- Herr Prof. Mayer, wie schlimm ist der wirtschaftliche Schaden bereits, den die Corona-Pandemie angerichtet hat?

Wir erleben gerade die größte Rezession der Nachkriegszeit mit einem weltweiten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von im Schnitt wahrscheinlich um die zehn Prozent. Das ist von Land zu Land leicht verschieden. Deutschland könnte mit etwas Glück mit einer einstelligen Schrumpfungsrate davonkommen.

- Sie sagen "der Nachkriegszeit". Also so schlimm wie vor 90 Jahren wird es doch nicht werden?

Zu Zeiten der "Großen Depression" gab es in einigen Ländern noch stärkere Rückgänge als zehn Prozent. Andere Länder, wie vor allem die Sowjetunion waren damals allerdings nicht betroffen.

Selbst in der Griechenlandkrise ab 2010 bis heute ging das BIP des Landes gar um ein Viertel zurück. Diese zehn Prozent Rückgang, die wir jetzt erleben, gab es also vereinzelt schon historisch.

Aber in dieser globalen Größenordnung dürfte dies schon die größte Rezession der Geschichtsschreibung sein.

- Global betrachtet, welches Land wird es am wirtschaftlich am heftigsten erwischen?

Länder, die einen härteren und längeren Lockdown betrieben haben, werden vermutlich stärker leiden, als solche, die das lockerer und kürzer machen. Das lässt die Hoffnung zu, dass es Deutschland nicht ganz so hart trifft wie Italien oder Spanien. Ein wichtiger Aspekt scheint mir dabei auch zu sein, dass Länder mit einem belastbaren Gesundheitssystem diese Krise besser meistern, als andere.

- Gerade im Gesundheitsbereich gab es ja einen weltweiten Wettkampf um Masken und Beatmungsgeräte. Wird die Globalisierung nun ein Stück weit zurückgedreht werden?

Ja, leider. Vielleicht wurden die Wertschöpfungsketten weltweit auch etwas überoptimiert. Bei der sicheren Versorgung mit medizinischen Produkten muss man wohl die Risiken der Globalisierung neu einschätzen und gestalten.

Allerdings zeichnete sich schon vor der Pandemie ab, dass die internationalen Handelsbeziehungen, vor allem im Streit zwischen den USA und China, zurückgedrängt wurden. Da wurden schon gewisse Schäden verursacht. Und jetzt kommt die Pandemie oben drauf.

Wir sollten nicht vergessen, dass die Globalisierung der Welt enormen Reichtum beschert hat. Viele Länder, die ab den 1990er Jahren bis heute in die Weltwirtschaft integriert wurden, haben davon enorm profitiert. In erster Linie waren dies China, aber auch Indien und Länder in Afrika oder Lateinamerika. Es wäre also tragisch, wenn diese Entwicklung wieder zurückgedreht werden würde.

- Wie wird China durch die Krise kommen? Wo wird das Land stehen in eins-zwei Jahren?

Das ist eine spannende Frage, auf die wir im Moment noch keine abschließende Antwort haben. Fakt ist, wenn der Westen keine bessere Antwort findet auf die chinesische Herausforderung als die, wie sie die Trump-Administration in den USA gibt, dann wird China der Gewinner sein.

- Wie gefährlich ist Corona für die EU als wirtschaftliches und politisches Gebilde?

Da sehen wir jetzt vor allem in der Fiskalpolitik, dass die Europäische Währungsunion (EWU) auf Sand gebaut wurde. Man hat hier Länder zusammengebracht, die von ihrer Wirtschaftsstruktur nicht alle für diese Währungsunion geeignet waren. Ursprünglich war die EWU ja auch nur als eine Währungsunion zwischen Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten angedacht. Die Aufnahme der südlichen Länder bis hin zu Griechenland hat einen Prozess in Gang gesetzt, der im Laufe der Zeit zunehmend zu monetärer Staatsfinanzierung geführt hat. Das begann mit der Finanzkrise, die dann die Eurokrise auslöste und wird jetzt durch die Corona-Krise noch verstärkt.

- Wenn man die Börse betrachtet, scheint es noch gar nicht so schlimm zu sein.

Dafür gibt es, glaub ich, drei Gründe. Erstens gehen die Märkte wohl von einer recht kurzen Rezession aus. Erst stürzten die Märkte ja regelrecht ab. Aber es kam dann zu einem sehr schnellen Stimmungsumschwung, als die Märkte sahen, was für harte Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen wurden. Bei der Großen Depression dagegen zog sich das ja über Jahre hin.

Der zweite Grund sind die massiven Stützungsprogramme. So etwas haben wir in der Geschichte noch nie erlebt. Es gab eine enorme Ausweitung der Geldproduktion, insbesondere der "Federal Reserve" der USA aber auch der anderen Zentralbanken.

Und drittens täuscht der Eindruck, wenn man sich nur die Indizes anschaut. Im Detail gibt es da große Unterschiede an der Börse. So liegen Internet-Unternehmen der Informations- und Kommunikationsbranche im MSCI World, also dem globalen Aktienmarkt, um rund ein Viertel über dem Index. Auf der anderen Seite liegen Fluglinien etwa 50 Prozent unter dem Index. Es ist hier also zu einer starken Differenzierung mit eindeutigen Gewinnern und Verlieren gekommen. Da profitieren insbesondere die großen Amerikaner, wie Facebook, Amazon, Apple, Netflix, Microsoft, aber auch die großen Internetunternehmen in anderen Ländern, wie Alibaba in China. Länder und Unternehmen, die vor allem auf Tourismus gesetzt haben, brechen ein.

- Wo steht da Deutschland?

Deutschland nimmt da eine etwas wacklige Mittelposition ein. Auf der einen Seite fehlen uns Technologieriesen, abgesehen vielleicht von SAP. Auf der anderen Seite sind wir nicht so tourismusabhängig wie Südeuropa. Das verarbeitende Gewerbe, das bei uns dominiert, ist nicht so stark von der Pandemie betroffen. Die Fließbänder können ja mit entsprechenden Maßnahmen wieder laufen. Trotzdem sind natürlich auch verarbeitende Gewerbe wie die Automobilbranche stark von der Wirtschaftskrise betroffen.

- Wenn wir ein Jahr vorausschauen, welche Erschütterungen werden wir möglicherweise erlebt haben, wie wird sich die Wirtschaftswelt verändert haben?

Leider wird die Pandemie nicht so spurlos an uns vorübergehen. Es wird zu deutlichen Strukturveränderungen kommen. Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen könnten dazu führen, dass sich der Staat wieder stärker als Unternehmer betätigen wird und das ist nach meiner Erfahrung noch nie gut ausgegangen. Zweitens werden die gigantischen Geldmittel, die in das System gepumpt wurden, wahrscheinlich die Vermögenspreise und dieses Mal vielleicht auch die Konsumentenpreise treiben. Die Dinge werden teurer werden. Das sieht man jetzt schon bei bestimmten Lebensmittel, die nicht mehr so einfach beschafft werden können. Es könnte also hier zu einer Inflation kommen.

Und drittens wird die Digitalisierung voranschreiten mit den oben skizierten Gewinnern und Verlierern. Das wird auch zu einer regionalen Neuverteilung des Wohlstands in der Welt führen. Das wird in manchen Regionen dazu führen, dass die Menschen weniger zufrieden sein werden und sich abgehängt fühlen.

Das Interview mit Thomas Mayer zum Nachhören:

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute in Köln. Davor war er für den Internationalen Währungsfonds und das Bankunternehmen Goldman Sachs und bis 2012 als Chefvolkswirt für die Deutschen Bank tätig.