Autorius: Von Alexander Boos Šaltinis: https://de.sputniknews.com/deu... 2020-03-14 12:12:00, skaitė 770, komentavo 0
Vorschläge der AfD zur Renten-, Sozial- und Familienpolitik waren lange erwartet worden. In der letzten Woche war es endlich soweit. Die Partei hatte am vergangenen Wochenende einen entsprechenden Leitantrag verabschiedet. Dieser soll auf einem Sozial-Parteitag der Alternative für Deutschland im April in Offenbach diskutiert werden. Seit ihrer Gründung 2013 fehlt der Partei ein kohärentes Rentenkonzept.
„Im Rentenkonzept der AfD sind einige Elemente enthalten, die durchaus eine Chance haben, Realität zu werden“, erklärte Klaus Morgenstern, Sprecher für Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Institut für Altersvorsorge mit Sitz in Berlin, im Sputnik-Gespräch. „Unter anderem auch, weil sie in ähnlicher Form bereits von anderen Parteien vorgeschlagen worden sind. Beispielsweise die Flexibilisierung des Renteneintrittsalters. Das ist eine Maßnahme, die sehr viel Sinn ergeben würde. Was ich eher für unwahrscheinlich halte, ist die angestrebte Anhebung der Geburtenrate.“Dies sei letztlich eine „fantasievolle Forderung“ der AfD, die der Renten-Experte so nicht sehe.
„Ich glaube, das neue AfD-Rentenkonzept bringt viel Illusionen und viel heiße Luft“, sagte Reiner Heyse, Pensionär und Renten-Experte der Initiative „Seniorenaufstand“, im Sputnik-Interview. „In der Substanz bringt das, was ich darüber gelesen habe, nicht viel, sondern da kommt noch viel nationalistisches Beiwerk hinzu.“
Die AfD setzt laut Medienberichten auf einenflexiblen Renteneintritt, wie er etwa auch – in anderen Modellen – der FDP oder der Grünen vorschwebe. „Wer länger arbeitet, bekommt entsprechend mehr Rente“, heißt es im neuen AfD-Leitantrag, der in der vergangenen Woche öffentlich wurde.
Die Forderung zum Renteneintritt „hebt sich gar nicht so stark vom bisherigen System ab“, schätzte Morgenstern ein. „Das ist in Grenzen schon vorhanden: Wer länger arbeitet, bekommt mehr Rente und wer früher in Rente geht, bekommt weniger Rente. Wir haben im bestehenden Renten-System bereits eine solche Regelung. Die Frage ist nur, inwieweit kann dieses System noch ausgedehnt werden. Da könnte ich mir durchaus vorstellen, dass man bei diesem Punkt den Versicherten noch mehr Entscheidungsmöglichkeiten überlässt. Mit den entsprechenden Konsequenzen: Wer früh geht, bekommt weniger Rente und wer später geht, der bekommt mehr Rente. Das ist eine Forderung, die in ähnlicher Form bereits von anderen Parteien erhoben wird. Ich denke, dieser Punkt wird in der Zukunft noch politisch diskutiert werden.“
Ähnlich sieht es der Rentner und Renten-Experte Heyse. „Grundsätzlich hebt sich das nicht vom bisherigen System ab“, erklärte er. „Auch Modelle von FDP und Grüne haben bei dem Punkt den gleichen Grundsatz: Wer länger arbeitet, der erhält mehr Rente. Das ist kein Systemwechsel oder eine große Erneuerung“, so sein Fazit.
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke will nach Medienberichten folgendes in der Rente umsetzen. „Es deutet aktuell auch viel darauf hin, dass sich ein Vorschlag Höckes durchsetzt, der einen sogenannten Staatsbürgerschaftsaufschlag für deutsche Kinder beinhaltet“, meldete der Münchner „Merkur“ vor wenigen Tagen. Nach dieser Idee „erhält jedes deutsche Kind bis zum 18. Lebensjahr 100 Euro monatlich. Diese Zuwendung soll auf ein Spardepot eingezahlt werden.“ Die Regelung solle aber nur für Deutsche gelten, die ihre Staatsangehörigkeit nachweisen können.
Dieser Idee erteilte Renten-Experte Morgenstern eine Absage: „Man wird einen Rentenanspruch nicht an der Staatsangehörigkeit festmachen. Wir haben ein Renten-System, das den Rentenanspruch an die Erwerbstätigkeit koppelt und nicht an die Herkunft. Diesen Punkt halte ich für äußerst bedenklich. Zur Entlastung der Familien mit Kindern: Darüber kann man natürlich nachdenken.“ Es gebe aber noch verschiedene andere Konzepte und Ideen dazu.
„Wenn jetzt die AfD sagt, wir schießen da sehr viel Geld rein, um ‚Gebär-Prämien‘ auszuschütten, dann schütten Sie auch das Kind mit dem Bade aus“, kritisierte Pensionär Heyse. Er zitierte folgenden Ausspruch: „Jeglicher Sozialaufwand – das sind Renten, Kinder- und Krankenversorgungen – muss immer aus dem laufenden Haushaltsjahr erbracht werden.“ Er kritisierte das Vorgehen der AfD in diesem Punkt. Die Partei erhöhe in Zeiten, „wo der ‚Rentnerberg‘ (die große Anzahl der deutschen Bürgerinnen und Bürger, die in Rente gehen; Anm. d. Red.) besonders groß ist, noch obendrauf die staatlichen Finanzen.“ Diese würden dadurch „um einiges verteuert. Das eigentliche Ziel, die demografische Last zu senken, wird dadurch noch teurer. Das, was bei Höcke drinsteht, die Produktivitätsrente, hat die AfD von uns Gewerkschaftern geklaut. Die Wertzuwächse, die tatsächlich in der Gesellschaft stattfinden – also Rationalisierungen und der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes – sind die Quelle dafür, dass mehr verteilt werden kann. Dieser Punkt verschwindet in der Sichtweise der AfD völlig und geht unter in nationalistischen, völkischen Tönen. Das ist reiner Nationalismus und völliger Blödsinn.“
In der Kindererziehung will die AfD nach Medienberichten eine „demografische Wende“ herbeiführen mit einer aktivieren Familienpolitik. In diesem Zusammenhang werde eine Steigerung der Geburtenrate auf das „bestandserhaltende Niveau von 2,1 Kindern pro Frau“ als „einzige Möglichkeit“ zur Stabilisierung der Sozial-Systeme verlangt. Zudem werde für die ersten drei Jahre der Kindererziehung ein Betreuungsgeld verlangt. Außerdem sollten Eltern für jedes Kind 20.000 Euro ihrer eigenen Rentenbeiträge aus Steuermitteln „erstattet“ bekommen.
Der Kampf gegen die Altersarmut ist laut Medien für die AfD ein politisches Ziel – vor allem in Ostdeutschland. Die Partei wolle jene Menschen mit geringem Einkommen besserstellen als Menschen, die größtenteils arbeitslos waren. Dies solle erreicht werden, indem nur 25 Prozent der Altersrente auf die Grundsicherung angerechnet würden. „Das ist auch ein Vorschlag, den Sie bei anderen Parteien finden“, so Morgenstern im Interview. „Die AfD steht damit nicht allein. Im Augenblick diskutiert die Große Koalition die Grundrente, die sehr viele handwerkliche Fehler hat.“
Das sei „ein wenig verwunderlich, was die AfD da in die Welt setzt“, ergänzte der Sprecher vom „Seniorenaufstand“. Anhand von fiktiven Rechenbeispielen behauptete er nachweisen zu können, dass dies „absurde Ideen“ seien. „Ich denke, da hat jemand ganz schlecht oder gar nicht gerechnet, sondern wollte nur etwas Wohlfeiles in die Welt setzen.“
„Die AfD will die Anzahl der Beamten reduzieren“, titelte die „Tagesschau“ vor wenigen Tagen. „Auch Abgeordnete, Selbstständige und ein Großteil der Beamten sollten nach den Vorstellungen der Programmkommission der AfD künftig Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen“, meldete „n-tv“ ergänzend am vergangenen Dienstag mit Blick auf die neuen Vorschläge der AfD. Der Partei zufolge solle es Beamtenpensionen nur noch für die Berufe geben, die hoheitliche Aufgaben ausüben. Zum Beispiel bei Angehörigen der Polizei, Bundeswehr oder Justiz. Alle anderen Staatsdiener wie Lehrer sollen gar nicht mehr verbeamtet werden.
„Das könnte ich mir vorstellen“, kommentierte Renten-Experte Morgenstern. „Allerdings könnte man das auch anders regeln, zumal wir im Pensions-System enorme stille Lasten aufgebaut haben, die irgendwann die Haushalte belasten werden. Unser Institut für Altersvorsorge hat Modelle darüber auch schon diskutiert. Es wäre möglich, dass man die neu verbeamteten Personen generell in die gesetzliche Rentenversicherung einbezieht. Dann kann man überlegen: Macht man es so wie es der AfD vorschwebt, dass man die Beamten mit hoheitlichen Befugnissen weiterhin mit Pensionsanspruch belässt und nur Lehrer und Verwaltungsbeamte dann in die gesetzliche Rentenversicherung mit reinnimmt. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass man Beamte generell in die gesetzliche Rente mit einbezieht. Also dass man in Richtung Erwerbstätigenversicherung geht. Das ist beispielsweise eine Forderung der Linken, die das gerne so haben möchte.“
Sein Fazit: Die AfD habe Konzepte von anderen Parteien übernommen und nur leicht modifiziert. Dies sei aber nicht weiter verwunderlich, weil es sich eben nur um punktuelle Änderungen handle. „Es sei denn, man versucht den großen Wurf. Das ist in der AfD gescheitert. Es gab dort Diskussionen darüber, einen Systemwechsel zu vollziehen, was von Herrn Meuthen diskutiert worden ist. Doch er scheiterte ja mit seiner Forderung bekanntlich.“
„Und dann muss man natürlich noch – was die AfD nicht macht – eine Finanzierungsidee dazu haben“, stellte er klar. „Also wo soll das Geld für all diese Maßnahmen herkommen. Ja, man kann über Entlastungen von Familien mit Kindern nachdenken, das wäre auch geboten. Aber man muss dann natürlich ein Konzept entwickeln, das funktioniert und finanzierbar ist. Das sehe ich im Konzept der AfD im Moment nicht.“
„Nach monatelangem Streit hat die AfD erstmals ein Rentenkonzept erarbeitet“, berichtete das Magazin „Spiegel“ vor wenigen Tagen. Die Partei habe einen entsprechenden Leitantrag vorgestellt. „Das Problem hat die Partei vorerst wohl ganz in seinem Sinne gelöst – ein Leitantrag zur Sozialpolitik liegt vor. Damit hofft die Parteiführung, auf dem geplanten Bundesparteitag im April in Offenburg ein strittiges Thema endlich abräumen zu können.“ Noch sei der Konflikt nicht gelöst, denn die baden-württembergische AfD-Fraktion und Parteichef Meuthen wollen demnach in den kommenden Wochen für ihr Modell werben.
Im Kern stünden sich drei Modelle gegenüber: Eines, das auf Reformen unter Beibehaltung des bestehenden Systems setze. Ein zweites Konzept stamme vom völkisch-nationalistischen „Flügel“ um Thüringens AfD-Chef Björn Höcke und AfD-Sozialpolitiker Jürgen Pohl, die Zusatzleistungen für deutsche Staatsbürger und verstärkte Leistungen für Familien als Vorschläge beinhalten. AfD-Bundessprecher Meuthen hatte zuvor für eine schrittweise Abschaffung der umlagefinanzierten Rente hin zu einer steuerfinanzierten Grundrente plädiert, die er durch private Vorsorge ergänzen wolle. „Doch sowohl Höckes als auch das Konzept des Volkswirtschaftsprofessors Meuthen kommen im Leitantrag kaum vor, der am vergangenen Wochenende von der Bundesprogramm-Kommission der AfD mit großer Mehrheit verabschiedet wurde.“
Allerdings könnte das Coronavirus dem geplanten Sozial-Parteitag der AfD noch einen Strich durch die Rechnung machen. Es droht der Ausfall dieses Parteitreffens in Offenbach im April.
Das Radio-Interview mit Klaus Morgenstern (DIA) zum Nachhören:
Das Radio-Interview mit Reiner Heyse (Seniorenaufstand) zum Nachhören: