Autorius: Von Beata Arnold Šaltinis: https://de.sputniknews.com/ges... 2020-03-11 08:46:00, skaitė 672, komentavo 0
Im Verhältnis zu den ehemaligen DDR-Bürgern habe sich vor allem bei der Bevölkerung West „ein ideologisches wie rassistisch-ethnisches Abgrenzungsprofil durch Selbstaufwertung“ etabliert. Das stellt die Soziologin Yana Milev in ihrem am Dienstag erschienenen Buch „Treuhandtrauma“ fest. Diese Abgrenzung spiegele sich in nach der Wende veröffentlichten Meinungen, wie in den Auftragsprofilen entsprechender Behörden auf Bundesebene, in Forschungsinstituten und Stiftungen. Eine „Stigmatisierung“ von Ostdeutschen, also in der DDR sozialisierten Menschen, fände verdeckt in den Institutionen statt, meint Milev auszumachen und deren Austragung würde tabuisiert und geleugnet, analysiert sie.
Jede Form der Stigmatisierung fixiere eine Abweichung von (westdeutschen) gesellschaftlichen Normen und Werten, so die Soziologin, was wiederum zu gesellschaftlicher Diskreditierung und Diskriminierung führe, zu einer partiellen oder totalen gesellschaftlichen Beschädigung von Personen oder eben der ostdeutschen Bevölkerungsgruppe insgesamt.
Die von Milev ausgemachte gesellschaftliche Herabwürdigung von in der DDR sozialisierten Menschen gründe auf fünf Positionen, die vermeintlich zum gesellschaftlichen Konsens erklärt und zum „Gründungsmythos“ der von ihr als „Rechtsstaat BRD II“ benannten Bundesrepublik gehöre.
Da wäre die Position, wonach die DDR-Volkswirtschaft eine korrupte Mangelwirtschaft gewesen sei, oder die DDR ein „Unrechtsstaat“ war und dass die SED NSDAP-Mitglieder protegiert und Altnazis gedeckt habe. Zudem seien die DDR-Deutschen Opfer, Täter und Mitläufer des „SED-Regimes“ gewesen, so eine weitere Position, was die Ostdeutschen gewissermaßen pathologisiert und so in die Nähe psychisch Kranker rücke und nicht zuletzt die Position der Gleichsetzung der DDR mit dem Totalitarismus der Nazi-Diktatur.
„Nach meinen Untersuchungen sind in Bezug auf die in der DDR zwischen 1945 und 1975 geborenen und sozialisierten Ostdeutschen drei verschiedene Formen der gesellschaftlichen Stigmatisierung seit 1989/90 zu beobachten: erstens eine ethnisch-rassistische Stigmatisierung und gesellschaftliche Herabsetzung, zweitens eine politische Stigmatisierung und gesellschaftliche Kriminalisierung wie die Zuschreibung von ausgeprägter Mitläuferschaft, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus, drittens mental-charakterliche Stigmatisierung und gesellschaftliche Pathologisierung wie die Zuschreibung von biografischen Fehlentwicklungen und psychosozialen Defekten.“
Ein Zusammenwachsen von West und Ost auf Augenhöhe mag unter diesen Vorzeichen auch noch 30 Jahre nach dem Mauerfall wie ein hoffnungsloses Unterfangen wirken, insbesondere, als der Ostdeutsche wohl ohnehin längst eine „Überlebensstrategie“, etwa in gesellschaftlicher Anpassung und Selbstverleugnung, gewählt habe:
Stigmatisierte Ostdeutsche selbst würden zur Selbst- und Herkunftsverleugnung neigen, um nicht als Teil der stigmatisierten Bevölkerungsgruppe wahrgenommen zu werden und somit der Konfrontation mit dem gesellschaftlichen Ausschluss zu entgehen, so Autorin Milev.
Es sei eine aus der Forschung bereits bekannt Art von „Täuschen“ zum Schutz der persönlichen oder der Gruppenintegrität. Und auch ihre Forschungsergebnisse hätten sowohl eine Unsicherheit in der beobachteten Betroffenengruppe als auch ein ausgeprägtes Täuschen bestätigt, schreibt Milev. So würden dazu beispielsweise das Verlernen der Herkunftsdialekte, eine Überanpassung an „habituelle Standards“, also den Lebensstil der „Westler“, oder auch der Loyalitätsbruch mit Vertretern der Herkunftsgruppe, also ehemaligen Kollegen, Schulfreunden aus POS und EOS oder gar Familienmitgliedern von Binz bis Bad Schandau, gehören. Die Person, die täuscht, führe ein Doppelleben, es könne sogar eines mit mehreren Varianten sein.
So wären jüngere Ostdeutsche – vornehmlich die „Wendekinder“, geboren zwischen 1975 und 1990 oder die „Nachwendekinder“, die sogenannte „Dritte Generation Ostdeutschland“, geboren ab 1990 – von diesem Doppelleben betroffen, so Milev. Einerseits konnten sie sich nach der „Wende“ sehr gut an westdeutsche Gesellschaftsstandards anpassen, indem sie erfolgreich über ihre Herkunft oder die ihrer Eltern hinwegtäuschten und zum Beispiel auch mit einer erfolgreichen beruflichen Entwicklung eine besonders gute Anpassung nachwiesen. Andererseits sei auffällig, dass ihr gesellschaftlicher Erfolg - mittels der Strategien der Täuschung und Anpassung - einen biografischen blinden Fleck erzeuge, ein verborgenes Stigma, das mit einem „Doppelleben“, aufgefangen würde.
Jedenfalls unterscheidet Milev zwischen „Exil-Ostdeutschen“, „Quoten-Ostdeutschen“, auch „Transfer-Ostdeutsche“ (jene im Westen sozialisierten Deutschen, die als „Aufbauhelfer“ mit Westgehältern und „Buschzulage“ im Zuge des Beamten- und Elitentransfers in den Osten kamen) und ATCK-Ostdeutsche gäbe es – die jüngste Generation mit in der DDR-sozialisierten Eltern ohne eigene DDR-Erfahrung.
Für Milev gelten die 1990 im Beitrittsgebiet verbliebenen Ex-DDR-Bürger als „Exil-Ostdeutsche“. Ohne ihre angestammte Heimat verlassen zu haben, befanden (und befänden) sie sich in einem ihnen fremden Land – Milev bemüht hier eine katastrophensoziologische Terminologie - „krassem sozialen Wandel“ und „entsetzlichen sozialen Prozessen“ ausgesetzt.
Die „Quoten-Ostdeutschen“ seien ebenfalls ehemalige DDR-Bürger, die allerdings aufgrund von DDR-Dissidenz oder „anderen Evaluierungen im neuen System“ als protektionswürdig gälten und Aufstiegschancen erhielten. Sie repräsentierten den Kodex der liberalen Bürgergesellschaft in einer offensiven DDR-Dissidenz (etwa Antisozialismus, Antikommunismus) und verträten als prominente öffentliche Personen die „Ostdeutschen“ - zwei Millionen Menschen sollen es gewesen sein, die sich sogleich als „Bundesbürger“ empfanden und der Verurteilung der DDR folgten.
Soziologin Milev macht sich Gedanken dazu, ob es eine „Zukunft der Gleichbehandlung und des Wohlstands in Ostdeutschland“ geben kann. Sie plädiert für eine Anerkennung der komplementären gesellschaftlichen Entwicklung der Teilgesellschaft des Ostens wie auch für eine „Wiedergutmachung“:
Beginnen könne man mit dem Eingeständnis von Fehlern, die von der politischen Klasse der Bundesrepublik – der alten wie der neuen – gemacht wurden. Jungen „Exil-Ostdeutschen“ sollte die Chance auf eine Karriere ermöglicht werden, was durch eine neue Gesetzgebung im Kontext von Gleichstellung und Antidiskriminierung geregelt werden könnte. Auch der Einigungsvertrags von 1990, der sich als „Enteignungsvertrag“ für die Mehrheit der DDR-sozialisierten Ostdeutschen darstelle, könne überarbeitet werden - beschlossen auf der Grundlage ordentlicher Fraktionsanfragen im Bundestag beschlossen.
Jedenfalls müsse ein notwendiger Bruch mit der bisherigen Geschichtsschreibung, den „herkömmlichen Narrativen der öffentlichen Medien und Behörden“ erfolgen. Zudem fordert Milev einen Paradigmenwechsel in der politischen Bildung, der auf eine gleichwertige Anerkennung ostdeutschen Geschichtsbewusstseins und ostdeutschen Erfahrungswissens insistiert – weg von der einer verordneten „Amnesie“.
Im Zuge der Feierlichkeiten zum Mauerfall wurde viel und selbstbewusst über DDR-Kunst und ostdeutsche Kultur und Lebenswirklichkeiten diskutiert. Aufarbeitungen, etwa zu den Geschehnissen rund um die Treuhandanstalt, nehmen Fahrt auf, wissenschaftliche Forschungen zur Wirtschaftskluft zwischen Ost und West, die gegebenenfalls eben auf Entscheidungen jener Jahre basieren, gefördert. Es wird sich zeigen, ob sich etwa der neue Ostbeauftragte des Bundes, Marco Wanderwitz, der Narben wie immer neu geschlagenen Wunden annehmen wird, wenn er wie jüngst moniert, dass fast nur Westdeutsche Top-Positionen in ostdeutschen Bundesländern bekleideten. Im „Westen“ ist dies ohnehin nichts Neues. Das neue Buch von Yana Milev mag Veränderungen befeuern.
Lesen Sie unser Interview mit der Sozilogin Yana Milev zum Erscheinen ihres neuen Buches „Das Treuhandtrauma – Die Spätfolgen der Wende“ in den kommenden Tagen.