Autorius: SputnikNews Šaltinis: https://de.sputniknews.com/pol... 2020-02-12 17:41:03, skaitė 805, komentavo 0
„Eine CDU-geführte Minderheitsregierung ist absolut denkbar, natürlich“, sagte Sachsen-Anhalts CDU-Vize-Fraktionschef Zimmer vor wenigen Tagen dem ZDF angesichts des Thüringer Wahl- Eklats. „Auch wenn sie von der AfD toleriert wird?“, fragte daraufhin der Reporter.
„Von wem sie dann toleriert wird, weiß ich ja in dem Moment nicht“, so die Antwort des im Raum Bitterfeld beheimateten Christdemokraten. Dann übte Zimmer scharfe Kritik an der Einmischung der Bundespolitik in den Wahlvorgang im Erfurter Landtag. „Ich möchte tatsächlich sagen: Liebe Freunde, kommt endlich von eurem Elfenbeinturm in Berlin und München herunter. Kommt an die Basis und schaut euch an, wie es wirklich aussieht. Ich kann keine 25 Prozent (der AfD-Wähler, Anm. d. Red.) einfach vor den Kopf stoßen.“
Anschließend hagelte es für den Vorstoß von der Bundes-CDU und dem CDU-Landesverband scharfe Kritik. „Herr Zimmer hat das Abstandsgebot missachtet“, ermahnte beispielsweise Sachsen-Anhalts CDU-Chef und Innenminister Holger Stahlknecht erst jüngst in einem Interview mit „n-tv“ seinen Parteikollegen öffentlich. „Da gibt es klare Parteitagsbeschlüsse. Und wenn ich einer Partei angehöre und eine verantwortungsvolle Position einnehme, dann muss ich die Beschlüsse der Partei einhalten.“
Der Berliner „Tagesspiegel“ titelte vor wenigen Tagen „Kommt es in Sachsen-Anhalt zum nächsten politischen Beben?“. Und weiter: „In der Kenia-Koalition geht die Angst um: Teile der CDU in Magdeburg streben offen nach einer Minderheitsregierung von Gnaden der AfD.“ Die Union selbst scheint gespalten. Mitglieder der Werteunion sprachen sich bereits mehrfach für eine mögliche „vernünftig gestaltete“ CDU/AfD-Kooperation aus.
Am vergangenen Sonntag stellte CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt per Pressemitteilung klar: „Bei der Äußerung des Abgeordneten Lars-Jörn Zimmer handelt es sich um seine persönliche Meinung.“ Das berichtete die „Mitteldeutsche Zeitung“ am Montag.
Sputnik hat daraufhin Magdeburger Landespolitiker der Regierungsparteien CDU und SPD sowie der AfD gefragt, was das jetzt politisch für das ostdeutsche Bundesland bedeutet.
Oliver Kirchner (AfD) ist seit 2018 Vorsitzender seiner Fraktion im Landesparlament von Sachsen-Anhalt. Im Landtag von Magdeburg ist er auch Sprecher seiner Partei für die Themen Arbeit, Soziales und Integration.
„Wir sind grundsätzlich bereit für eine Zusammenarbeit mit der CDU – wenn bestimmte Positionen bei Sachthemen mit uns übereinstimmen und haushaltstechnisch umgesetzt werden“, erklärte AfD-Fraktionschef Kirchner im Sputnik-Interview. „Was wir bereits als Forderungen ausgerufen haben, sind kostenfreie Kita-Plätze oder die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Das ist ein großes Thema in Sachsen-Anhalt, die sollten sofort abgeschafft werden. Da tut sich die CDU schwer damit.“
Der Landeshaushalt müsse dann die Kosten für den Ausbau der Straßen übernehmen – und nicht mehr Anwohner und Bürger. „Konsequentere Abschiebungen“ und „Haushaltsmittel bürgernah verwenden“ seien weitere Forderungen der AfD in Sachsen-Anhalt. In diesen Punkten müsse die Union der Partei entgegenkommen, bevor eine tatsächliche Zusammenarbeit zwischen AfD und CDU überhaupt denkbar wäre aus seiner Sicht.
Eine weitere Bedingung sei, so der AfD-Landespolitiker und gebürtige Magdeburger, dass die bisherigen CDU-Größen im Land – darunter Ministerpräsident Reiner Haseloff und Innenminister Stahlknecht – „im Vorstand mit uns keine Verhandlungen führen.“ Außerdem stimme er dem „Kollegen Zimmer“ zu bei dessen Kritik an die Bundesparteien von CDU, CSU und FDP, die sich in Thüringen eingemischt hatten: „Das geht so nicht.“
Der Magdeburger SPD-Landtagsabgeordnete Rüdiger Erben war über fünf Jahre lang Staatssekretär im Innenministerium von Sachsen-Anhalt. Seit 2016 führt er als parlamentarischer Geschäftsführer die Fraktion seiner Partei im Landtag.
„Es gibt eine neue Wendung in dem Fall“, sagte SPD-Landespolitiker Erben im Sputnik-Gespräch am Dienstagabend. „Es ist seit wenigen Stunden den Medien zu entnehmen, dass Herr Zimmer von der CDU in den geschäftsführenden Landesvorstand der CDU vorgeladen sei. In diesem Gremium sitzen der Ministerpräsident, der Innenminister, der Fraktionsvorsitzende und viele mehr. Offensichtlich ist das Ziel dort, ihn (CDU-Vize Zimmer, Anm. d. Red.) auf Linie zu bringen. Oder, wie die Medien schreiben: Ihm nahezulegen, sein Amt als stellvertretender Fraktionsvorsitzender niederzulegen. Aus meiner Sicht wird es jetzt auch Zeit, dass dort die Fronten geklärt werden. Denn das ist ja nicht das erste Mal, dass wir eine solche Debatte in Sachsen-Anhalt führen.“ Er forderte: „Wir brauchen jetzt eine klare Entscheidung der CDU.“
Der SPD-Landespolitiker betonte auch, dass CDU-Politiker Zimmer „nicht der Einzige aus seiner Fraktion ist, der mit der AfD sympathisiert. Aber er ist sicherlich der Prominenteste, weil er es mit seinen Aussagen am vergangenen Wochenende in die ZDF-Sendung geschafft hatte.“
Am frühen Dienstagabend berichtete die „FAZ“, dass nach Informationen der Zeitung „in Sachsen- Anhalt der Landtagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Lars-Jörn Zimmer von der Parteiführung vorgeladen worden“ sei. „Der 49 Jahre alte Politiker aus Anhalt-Bitterfeld stellte sich damit nicht zum ersten Mal gegen die Linie der Parteiführung in Bund und Land. Zimmer gehört zu den Köpfen einer ganzen Gruppe von CDU-Abgeordneten, die auf eine inhaltliche und strategische Annäherung an die AfD zielen. (…) Die Eskalation des parteiinternen Richtungsstreits und der drohende Autoritätsverlust der Parteispitze führt nun offenbar zu einem Umdenken. Zimmer soll sich am Sonntagvormittag vor dem Geschäftsführenden Landesvorstand erklären. Das Gremium umfasst die ranghöchsten Politiker des Landesverbands.“
„Wenn die CDU nicht daraus lernt, wie es in Italien passiert ist, dass die ‚Democrazia Cristiana‘ praktisch vollkommen von der Bildfläche verschwunden ist, dann wird sie in Sachsen-Anhalt das gleiche Schicksal ereilen“, betonte AfD-Chef Kirchner. Die CDU würde bereits jetzt in Sachsen-Anhalt im ländlichen Raum viel politische Unterstützung verlieren.
„Die CDU weiß selbst auch, dass sie im Laufe der nächsten Jahre jeden Landrat verlieren wird“, so der AfD-Politiker. „Die Landräte der CDU werden einfach abgewählt. Zuletzt hatten wir in Stendal den Fall, wo sich SPD, FDP, die Linken und die Grünen zusammengetan haben, um einen Landratskandidaten gegen den CDU-Kandidaten zu bevorzugen.“ Ein Trend gegen diese Entwicklung ist ihm zufolge für die Union nur mit der Alternative für Deutschland möglich. „Konservative Politik geht nur mit uns zusammen.“
„Für uns ist nach den Ereignissen in Thüringen Folgendes ganz klar“, berichtete Sozialdemokrat Erben, der in Thüringen geboren und aufgewachsen ist und seit vielen Jahrzehnten politisch den Burgenlandkreis im Parlament von Sachsen-Anhalt vertritt: „Wir werden natürlich nächstes Jahr den Wählerinnen und Wählern sagen: Wenn ihr wirklich sicher sein wollt, dass am Ende nicht die Nazis einen Einfluss darauf haben, wie die Regierung in Sachsen-Anhalt aussieht, dann müsst ihr die SPD wählen. Bei der CDU könnt ihr euch da nicht sicher sein.“
Zudem sei es für die SPD im dortigen Bundesland ausgeschlossen, auch nur in Sachthemen mit der AfD zusammenzuarbeiten. „Wenn ich mir den ideologischen Hintergrund anschaue, auf dem sich die AfD bewegt, dann ist nicht die Frage, ob sie die gleiche Auffassung wie wir bei den Straßenausbaubeiträgen hat, sondern da geht es um viel grundsätzlichere Fragen.“ Die „völkische Gesinnung“ mancher AfD-Politiker mache es unmöglich, mit der Partei zu kooperieren, so SPD-Politiker Erben.
Es seien „Dinge letzte Woche in Erfurt eingetreten, die zuvor niemand für möglich gehalten hätte. Ich hätte niemals geglaubt, dass der gewählte FDP-Bewerber (und Noch-Ministerpräsident Kemmerich, Anm. d. Red.) anschließend die Wahl annimmt. Das ist schon ein Dammbruch gewesen, auch wenn es jetzt von allen Seiten Relativierungen gibt. Das hat mich wirklich erschrocken. Aber es hat mich in den Tagen danach gefreut, als ich gesehen habe, wie in Thüringen die Menschen gegen Rechts aufgestanden sind.“ Damit bezog sich der SPD-Politiker auf historische Parallelen zu den aktuellen Ereignissen in Erfurt.
Die Wahl des thüringischen Kurzzeit-Ministerpräsidenten Kemmerich (FDP) „war zunächst einmal eine demokratische Wahl in einem demokratischen Parlament“, schätzte AfD-Chef Kirchner rückblickend ein. Dies sei trotz allem ein Erfolg der Erfurter AfD-Fraktion. „Die Thüringer AfD hat natürlich ihr Wahlversprechen einlösen wollen, Rot-Rot-Grün abzuwählen. Ich finde es schon verwerflich und verwunderlich, dass die Kanzlerin der Raute (Angela Merkel, Anm. d. Red.) und Berlin sich eingeschaltet und dafür gesorgt haben, dass Kemmerich doch letztendlich seinen Posten wieder aufgegeben hat. Das ist die Abschaffung der Demokratie, wie ich finde.“
Durch die „Erfurter Explosion“ sei letztlich die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer „aus dem Amt gefegt worden“, analysierte der Dresdner Politologe Werner Patzelt bereits in einem früheren Sputnik-Interview. „Wenn eine Parteivorsitzende merkt, dass sie in der Öffentlichkeit noch so laut etwas vertreten kann (…), dass aber andere Parteimitglieder und Landtagsabgeordnete mit einem freien Mandat nicht auf sie hören, dann bleibt im Grunde nichts Anderes übrig, als zu sagen: Ich sehe ein, dass ich keine Autorität mehr habe“, folgerte der Politikwissenschaftler.
Bis Redaktionsschluss waren ehemalige und aktuelle CDU-Landespolitiker in Sachsen-Anhalt für eine Stellungnahme gegenüber Sputnik nicht zu erreichen.
Das komplette Radio-Interview mit Oliver Kirchner (AfD) zum Nachhören:
Das komplette Radio-Interview mit Rüdiger Erben (SPD) zum Nachhören: