Warum sich US-Flüssiggas auf dem europäischen Energiemarkt kaum durchsetzen wird

Autorius: RT deutsch Šaltinis: https://deutsch.rt.com/wirtsch... 2020-02-05 12:27:56, skaitė 790, komentavo 0

Warum sich US-Flüssiggas auf dem europäischen Energiemarkt kaum durchsetzen wird

Die USA gehen gegen das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2 vor und wollen ihre Flüssiggasxporte nach Europa steigern. Die Strategie der US-Dominanz des europäischen Energiemarkts muss allerdings scheitern, wie ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt.

Die Strategie der US-Regierung von Präsident Donald Trump, in Energiefragen die dominierende Rolle zu spielen, muss zwangsläufig Europa als einen der größten Absatzmärkte für Erdgas einbeziehen – insbesondere dann, wenn es um die für die USA relevante verflüssigte Variante (Liquified Natural Gas, LNG) geht. Allerdings wird nach Einschätzung des Branchendienstes Oilprice dieser Versuch einer US-Energiedominanz in Europa nicht funktionieren. Denn der heute viel offenere und transparentere europäische Gasmarkt habe zwar dazu beigetragen, den Einfluss des russischen Konzerns Gazprom auf dem Kontinent zu verringern, aber auch dazu geführt, alle anderen von dem Versuch abzuhalten, den Platz von Gazprom einzunehmen.

Die Wahrheit ist, dass Europa heute ein kontinentales Gasnetz entwickelt hat, und dieses Netz verfügt über LNG-Terminals. Das bedeutet, dass viele europäische Länder heute bei ihren Gasimporten viel flexibler sind als vor 30 Jahren, als Russland und Norwegen den Markt dominierten. Es gibt nur einen Haken: Das LNG muss billig genug sein, um alternative Lieferangebote zu schlagen.

Deutschland als mit Abstand größter Markt in Europa spielt dabei die entscheidende Rolle, die angesichts des Atom- und Kohleausstiegs noch wachsen wird. Hier liegt der Grund für Deutschlands Interesse am Bau der zweiten Nord-Stream-Pipeline durch Gazprom. Auch die US-Sanktionen gegen dieses Projekt folgen einer rein pragmatischen Agenda. Schließlich sind US-Konzerne, die sich für das Sanktionsgesetz gegen die "russische Pipeline" eingesetzt hatten, ihrerseits maßgeblich im russischen Öl- und Gassektor aktiv – zudem baut eine dieser Firmen selbst einen LNG-Exportterminal in Texas (ExxonMobil) und ist eine weitere selbst an der Finanzierung von Nord Stream 2 beteiligt (Shell Oil). US-Firmen spielen also auf beiden Seiten und dabei bis hin zum Einsatz von Sanktionen mit.

Zur Situation des deutschen und europäischen Gasmarktes schreibt Oilprice:

Wegen der offenen und transparenten Natur des europäischen Gasmarktes kauft Deutschland aber auch LNG aus Russland. Erst im Dezember 2019 eröffnete Novatek seine erste LNG-Tankstelle in Deutschland. Es ist die erste LNG-Tankstelle des russischen Unternehmens in Europa und könnte den Beginn eines Netzwerks markieren.

Und weiter:

Deshalb ist das Erlangen einer Energiedominanz auf dem europäischen Gasmarkt ein schwieriges Unterfangen. Die Tatsache, dass Deutschland und andere Länder neue LNG-Terminals bauen, verpflichtet sie nicht dazu, diese Terminals für US-LNG zu nutzen.

Deutschland rechnet – und setzt auf russisches Gas

Russische Beobachter schätzen die US-Strategie auf dem europäischen Energiemarkt ebenfalls als zum Scheitern verurteilt ein. So ist die jüngste Einigung im Handelsstreit zwischen den USA und China auch in diesem Zusammenhang zu sehen.

Peking hat zugesagt, in den nächsten zwei Jahren US-Energieressourcen im Wert von insgesamt 52,4 Milliarden US-Dollar zu kaufen, davon 18,5 Milliarden US-Dollar bis 2020 und 33,9 Milliarden US-Dollar bis 2021. Nach Angaben des US-Handelsministeriums importierte China im Jahr 2017, das heißt zum Zeitpunkt des Beginns des Handelskonflikts zwischen den beiden Ländern, Energieressourcen im Wert von 8,4 Milliarden US-Dollar, davon die Hälfte in Form von Rohöl. Im Jahr 2019, in der akutesten Phase der bilateralen Handelskonfrontation, sanken die Käufe auf 3,5 Milliarden, was den USA natürlich nicht schmeckte.

Nach den neuen Bedingungen des kürzlich unterzeichneten Abkommens muss China den Kauf von US-Kohle und Flüssiggas drastisch erhöhen", so der russische Experte Sergei Sawtschuk.

Wenn wir politische Fragen beiseite lassen und uns auf wirtschaftliche Indikatoren stützen, kann man nur dann von einer "Eroberung" des europäischen Energiemarktes sprechen, wenn die vom "Eroberungsland" exportierten Produkte von der unbestrittenen Führungsnation der Europäischen Union und einem der Hauptimporteure von Energieressourcen gekauft werden: Deutschland.

Deutschland steht bei den Erdgasimporten weltweit an erster Stelle. Im Durchschnitt kauft Berlin zur Deckung seines industriellen und allgemeinen Bedarfs fast 120 Milliarden Kubikmeter blauen Brennstoffs pro Jahr ein. Infolge der Energiewende wird diese Abhängigkeit von Energieimporten noch zunehmen.

Um zu verstehen, weshalb russisches Gas für Deutschland eine bevorzugte Rolle spielt, muss man sich die Struktur seiner Energieimporte vergegenwärtigen.

Bis vor Kurzem importierte Deutschland seinen Brennstoff hauptsächlich aus Russland (etwa 40 Prozent), den Niederlanden (29 Prozent) und Norwegen (21 Prozent). Im Jahr 2014 geschah jedoch etwas Unerwartetes: Die Gasproduktion im Groningen-Becken, der wichtigsten Quelle der niederländischen Energieressourcen, brach aufgrund einer kritischen Zunahme der seismischen Aktivität in der Region zusammen.

Ohne die Niederlande in seinem Gasversorgungsnetz war Deutschland gezwungen, nach Optionen zu suchen, um die verbleibende Lücke zu füllen. Norwegen kam nicht in Frage, da das Land nicht über genügend freie Gasmengen verfügt, um seine Einspeisungen zu erhöhen. Deutschland besitzt bisher keine Offshore-Regasifizierungs-Terminals, und der Kauf von US-Flüssiggas aus Polen wäre finanziell nicht vorteilhaft. Wenn man also alle bekannten Faktoren dieser einfachen Gleichung berücksichtigt, bleibt für Deutschland nur eine Option: Russland.

Ein weiterer Aspekt, um die Bedeutung des Baus von Nord Stream 2 zu verstehen, ist das umfangreiche Leitungssystem, über das Deutschland verfügt und das es mit Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich, der Schweiz, Österreich, der Tschechischen Republik und Polen verbindet. Im Falle freier Gasmengen oder erhöhter Lieferungen kann Deutschland zur Hauptdrehscheibe für Erdgas von der Donau bis zur Themse werden, wobei es seine eigenen Bedingungen diktieren und wirtschaftlich profitieren kann.

US-Flüssiggas – für die EU unbedeutend

Dieses Szenario missfällt den Vereinigten Staaten, deren politische Instrumente in der Europäischen Union allein auf Polen beschränkt sind. Die USA versuchten zwar, die LNG-Lieferung an die EU über Bulgarien zu steigern. Doch nach dem Kauf von zwei Testlieferungen beschloss Sofia, dieses Experiment aufzugeben und sich dem Gaspipelineprojekt Turkish Stream anzuschließen. Polen, das einen Vorzugsvertrag für den Kauf von Gas aus den Vereinigten Staaten hat, verwendet es derzeit zur Deckung seines eigenen Bedarfs, handelt es auf den asiatischen Märkten oder verkauft Überschüsse an seine Nachbarn weiter.

Deutschland zu zwingen, seine Flüssiggasimporte zu erhöhen, wäre sowohl für die Vereinigten Staaten als auch für Polen von Vorteil. Die USA würden die geopolitischen Positionen Russlands und Deutschlands radikal schwächen, und Polen würde finanziell auf Kosten des deutschen Haushalts profitieren. Moskau und Berlin sind sich darüber im Klaren und koordinieren sorgfältig ihre Aktionen, um zu verhindern, dass ihre Widersacher das entstehende grenzüberschreitende Bündnis zweier globaler Schwergewichte mit diesbezüglich gemeinsamen Interessen zerstören.

Doch könnten die Vereinigten Staaten ihre LNG-Exporte den Europäern aufzwingen? Den Zahlen zufolge nicht, so Sawtschuk.

Im Jahr 2018 importierte Europa – einschließlich des Vereinigten Königreichs und des Nicht-EU-Mitglieds Türkei – 349,9 Milliarden Kubikmeter Pipeline-Gas und 58,6 Milliarden Kubikmeter LNG, insgesamt also 408,5 Milliarden Kubikmeter.

Mit anderen Worten: Die gesamten LNG-Importe Europas im Jahr 2018 machen weniger als 15 Prozent seiner gesamten Erdgaseinfuhren aus. Neben den Vereinigten Staaten kommt das von europäischen Staaten bezogene Flüssiggas aus Ländern wie Katar, Russland und Nigeria. Die Vereinigten Staaten verkauften 2018 insgesamt 3,96 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas nach Europa. Das entspricht vernachlässigbaren 0,74 Prozent der gesamten europäischen Erdgasimporte.

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