Autorius: SputnikNews Šaltinis: https://de.sputniknews.com/ges... 2020-01-23 09:08:49, skaitė 695, komentavo 1
Am Mittwoch sprach die Sozialsenatorin auf einer Pressekonferenz in Berlin über die„Nacht der Solidarität“. Das bedeutet: In der Nacht vom 29. auf den 30. Januar findet in der Hauptstadt eine erstmalige Zählung obdachloser Menschen statt. Neben der Linkspolitikerin sprachen Klaus-Peter Licht, Projektleiter der „Nacht der Solidarität“, sowie Stefan Strauß, Pressesprecher der Senatsverwaltung. Für die geplante Zählung werden in besagter Nacht bis zu 500 „Zähl-Teams“ gebildet. Jedes Team besteht aus drei bis fünf freiwilligen Helfern. „Die in der Nacht angetroffenen Menschen werden durch die Teams zahlenmäßig erfasst und wenn möglich, auch kurz befragt“, sagte Senatorin Breitenbach gegenüber den Pressevertretern.
Seit Jahren kritisieren soziale Organisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) mit Geschäftsführerin Werena Rosenke, dass es bundesweit und für Berlin keine einheitlichen Obdachlosen-Statistiken gibt. Der Bundesregierung fehle dazu der politische Wille oder auch schlicht das Interesse.Außerdem werde zu wenig Sozialwohnraum geschaffen, so die Kritik weiter.
Daher wollte Sputnik auf der Pressekonferenz wissen, ob es bei der Berliner Zähl-Aktion eine Kooperation mit sozialen Organisationen wie der BAGW gibt. Und: Ob diese Zählung in Zusammenhang mit dem neuen Gesetz von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) steht, nach dem bald alle deutschen Kommunen ihre Obdachlosen zu zählen haben.
„Ja, mit der Bundesarbeitsgemeinschaft sind wir in engem Kontakt“, sagte Senatorin Breitenbach gegenüber Sputnik. „Frau Rosenke war auch auf der letzten Strategie-Konferenz, weil wir sie gebeten hatten, dass sie dort unsere Leitlinien fachkundig bewertet. Unser Fragebogen für die Zählung orientiert sich eben an Punkten, die von der BAGW immer vorgeschlagen wurden. Zum Gesetz von Herrn Heil: Ich durfte letzte Woche dazu im Bundestag reden, wo diese Statistik beschlossen wurde. Diese wird aber erst 2022 eingeführt. Es geht darum, eine bundesweite Statistik der kommunal und ordnungsrechtlich untergebrachten Menschen einzuführen.“ Damit bezog sich die Politikerin der Linken auf obdachlose Menschen, die in sozialen Institutionen der Stadt versorgt und betreut werden. „Ich hatte schon im Bundestag gesagt: Für Berlin kann ich sagen, dass wir hier über 36 000 Menschen untergebracht haben.“
Obwohl das neue Gesetz zur Einführung einer bundesweiten Erhebung aller Obdachlosen „ein richtiger erster Schritt“ sei, übte Berlins Sozialsenatorin Kritik an der Bundesregierung:
„Bei der Statistik, die der Bund jetzt beschlossen hat, sind weder diejenigen drin, die auf der Straße leben, noch diejenigen, die sich in der Kältehilfe befinden. Da sind wir in Berlin weiter.“ Die geplante Zählung habe mit dem neuen Gesetz erstmal nichts zu tun. „Aber natürlich wollen wir diese Zahlen bundesweit haben. Wir wollen hier mit unserer Aktion in Berlin auch einen Stein ins Rollen bringen.“ Warum die Bundesregierung seit Jahrzehnten keine einheitliche Statistik zu obdachlosen Menschen erhebt, könne sie nicht kommentieren. Aber: Es sei „fatal, dass wir bundesweit keine Daten haben“.
Insgesamt werden am 29. Januar fast 4000 freiwillige Berlinerinnen und Berliner nachts durch das Stadtgebiet der Hauptstadt ziehen. Um eben Obdachlose an einschlägigen Plätzen wie am Bahnhof Zoo, in der Rummelsburger Bucht oder im Tiergarten sowie an vielen anderen Orten zu suchen, zu zählen und zu befragen. Der Fragekatalog möchte von den obdachlosen Menschen unter anderem wissen: „Leben Sie allein oder mit einem Partner auf der Straße? Nutzen Sie Angebote der Stadt wie die Kältehilfe oder ähnliches? Wie lange sind Sie schon obdachlos?“ Die vielen Freiwilligen wurden übrigens im Vorfeld durch verschiedene Kampagnen des rot-rot-grünen Berliner Senats angeworben. Viele sind in kirchlichen Verbänden engagiert oder im Freiwilligen-Engagement.
„Jedem Zähl-Team wird ein bestimmter Berliner Stadtbereich zugeordnet“, erklärte Projektleiter Licht den genauen Ablauf der Zählung. „Wir haben die Teamleitungen im Vorfeld geschult. In der Nacht werden die Teams dann ab 19 Uhr in den sogenannten Zähl-Büros starten. Es gibt Schulungen durch die Teamleiter für die Freiwilligen, die einen Verhaltens-Kodex erhalten werden.“ Danach schwärmen die Teams ab 22 Uhr ins Stadtgebiet aus, um Menschen ohne Obdach ausfindig zu machen.
Senatorin Breitenbach meinte, es sei doch für eine große Stadt wie Berlin ein „hervorragendes Signal“, dass sich fast 4000 Menschen freiwillig bereit erklären, sich des Nachts auf die Straßen zu begeben, um Obdachlose zu zählen. Sie ärgere sich über früher oft gehörte Sprüche wie „Eure Armut kotzt uns an“ oder „Obdachlose: Raus aus den U-Bahnhöfen“. „Ja, sollen die armen Menschen jetzt auf der Straße erfrieren“, fragte sie provokativ. Doch sie betonte auch:
„Es gibt ein solidarisches Berlin, das Obdachlose unterstützt.“
Projektleiter Licht betonte, dass auch die Sicherheit für die Zähl-Teams wichtig sei. Die Teams müssten „jetzt nicht in den dunklen Görlitzer Park gehen“, wenn ihnen das nicht geheuer vorkomme. „Die Sicherheit unserer Mitarbeiter und Freiwilligen geht vor“, sagte er. Am Ende lobte er die Berliner Zivilgesellschaft für „den Solidaritätsgedanken und das große Interesse“ an den Obdachlosen der Stadt.
Berlin zählt als erste deutsche Stadt nach Paris und New York seine Obdachlosen. Hintergrund sind laut der Sozialsenatorin „die Erfahrungen von Paris. Die Stadt führt in diesem Jahr einen Tag nach uns ihre dritte Obdachlosen-Zählung durch. Mit Paris standen wir in einem engen Austausch. Wir hatten zuvor beobachtet, wie in Berlin die Zahl der Menschen, die ohne Wohnung oder im schlimmsten Fall obdachlos sind, ansteigt.“ Das sei weltweit auch in anderen Metropolen zu beobachten. Daher die Orientierung an Frankreichs Hauptstadt.
Das „wirklich sehr gut ausgebaute Netz der Wohnungslosenhilfe“ in Berlin komme noch nicht bei allen Obdachlosen an, gab Breitenbach zu bedenken. „Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Heute ist Obdachlosigkeit viel internationaler. Übrigens häufig osteuropäisch. Obdachlosigkeit ist weiblicher geworden. Und wir erleben mehr obdachlose Menschen mit Behinderungen, darunter Rollstuhlfahrer. Wir haben dazu aber keinerlei Zahlen, sondern nur Schätzungen. Deshalb wollen wir die Zählung machen. Um zu wissen: Wieviel obdachlose Menschen leben in welchem Berliner Bezirk?“ Nach Auswertung der Zählung wollen dann Entscheidungsträger im Senat beraten, wie den Obdachlosen in Berlin künftig besser geholfen werden kann.
Laut der BAGW gab es nach Schätzungen im Jahr 2018 etwa 678 000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung. Der Frauenanteil liege bei etwa 59 0000 Personen. Etwa 71 000 Wohnungslose leben mit dem Partner oder den Kindern zusammen. Etwa 19 000 Kinder und Jugendliche seien in Deutschland aktuell ohne Wohnsitz. Aktuell gebe es hierzulande circa 441 000 anerkannte Geflüchtete, die sich ohne festen Wohnsitz durchschlagen. Etwa 17 Prozent der Wohnungslosen in Deutschland kommen aus anderen EU-Staaten, meist Osteuropa.
Auf dieses „europäische“ Obdachlosen-Problem machte auch Senatorin Breitenbach auf der Pressekonferenz aufmerksam. Daher finden die Befragungen der Berliner Obdachlosen auch in mehreren Sprachen statt. Schätzungsweise 6000 bis 10000 Menschen leben aktuell in Berlin auf der Straße. Vielleicht gibt es bald eine genauere Zahl.
Wer sich an der Zählung am 29. Januar als Freiwillige oder Freiwilliger beteiligen möchte, kann sich online unter www.berlin.de/nacht-der-solidaritaet informieren und anmelden.
Der Radio-Beitrag mit Senatorin Elke Breitenbach (DIE LINKE) zum Nachhören: